Bentley Batur wird letztes W12-Modell
Im April 2024 soll es nun soweit sein: Bentley beendet als letzte VW-Konzerntochter nach über 100.000 Einheiten die Produktion der einst prestigeträchtigen W12-Motoren. Es verbleiben im Modell-Lineup der Engländer die wenig geliebten V6-Hybride sowie der in Zusammenarbeit mit Porsche und Audi entwickelte 4,0-Liter-V8-Biturbo. Letzterer wird auch heute noch laufend weiterentwickelt und dürfte vorübergehend das neue Aushängeschild der VW-Nobelmarke werden. Zumindest solange, bis ab 2025 der erste elektrische Bentley erscheint, der, sollte es ein Coupé werden, gegen den schon dieses Jahr erscheinenden batteriebetriebenen Rolls-Royce Spectre antreten wird.
Bis dahin feiert man den Abgesang auf den Zwölfzylinder noch einmal mit einem Sondermodell: Dem bereits 2022 vorgestellten Bentley Batur. Einer karosserietechnisch stark überarbeiteten Version des Continental GT mit einer Spitzenleistung von 740 PS und 1.000 Nm Drehmoment (Fahrzeug steht noch nicht zum Verkauf, Homologation ausstehend).
Die bewegte Geschichte des Piëch-Zwölfzylinders
Zwar beendet der W12-Motor nun seine Karriere bei Bentley, doch zu Beginn war er vor allem ein Prestigeprojekt für Audi und die Konzernmutter Volkswagen. Mitte der 1990er-Jahre beauftrage der bereits verstorbene VW-Patriarch Ferdinand Piëch seine Motorenentwickler, zunächst aus zwei Audi-5-Zylinder-Dieseln einen gigantischen 5,0-Liter-V10-TDI zu konstruieren. Das Ergebnis verschwand vorerst in den Konzernschubladen. Im gleichen Zeitgeist entstanden jedoch die ersten Ideen, aus ebenfalls zwei Sechszylinder-Benzinern einen Zwölfzylinder herzustellen. Die Aufgabe war klar: Der neue Motor sollte kompakt genug sein, um auch im damaligen Konzern-Flaggschiff, dem ersten Audi A8 (D2), verbaut werden zu können. Eine herkömmliche, platzintensive, V12-Bauweise (wie etwa bei Daimler oder BMW der Fall) kam dadurch nicht in Frage. Man nutzte die bereits vorhandenen VR6-Motoren des Konzerns und fertigte, auch unter enormen Druck durch Piëch selbst, einen komplexen zwölfzylindrigen "V-V-Motor", der anschließend als W12 bekannt wurde.
Das Ergebnis erstaunte: Der unter dem Motorkennbuchstaben AZC erstmals im Audi A8 ab 2001 verbaute W12 hatte mit einer Länge von 513 und einer Breite von 710 Millimetern gerade einmal die Größe des damals angebotenen 4,2-Liter-V8-5V-Aggregats, leistete statt 310, respektive 360 PS im Audi S8, stolze 420 PS und lieferte als freisaugender Motor beachtliche 550 Newtonmeter Drehmoment. Sein Gewicht: Lediglich 245 Kilogramm. Eine weitere Besonderheit stellt zudem die Trockensumpfschmierung dar. Sie wird sonst vor allem bei Sportwagen, aber auch bei Geländefahrzeugen verbaut und kam aufgrund der beengten Platzverhältnisse rund um den W12 zum Einsatz.
Der W12 (und V10 TDI) im Volkswagen Phaeton
Die Bauzeit des Audi A8 D2 W12, sie blieb kurz. Von Januar 2001 bis September 2002 wurden lediglich wenige Hundert Stück gebaut, bereits ab Oktober 2002 rollte das Nachfolgermodell, der Audi A8 D3 vom Band. Es sollte derweil noch bis in den Herbst 2003 hinein dauern, ehe die Ingolstädter wieder auf einen W12-Motor in ihrem Flaggschiff setzen konnten. Der Grund: Die Motorenentwickler bei VW brauchten Zeit für eine grundlegende Überarbeitung des W12. Das Resultat: Statt 420 PS, leistete der Sauger fortan 450 PS.
Der kurzweilige Verzicht Audis auf den W12 bot Volkswagen zudem die Gelegenheit, die seit 2002 gleichermaßen mit dem Prestigemotor ausgerüstete erste eigene Oberklasselimousine vermehrt ins Rampenlicht zu rücken. Den VW Phaeton. Das ebenfalls durch Ferdinand Piëch initiierte Projekt sollte nichts weniger als das beste Auto der Welt sein - noch vor der Mercedes-Benz S-Klasse. Bekanntlich scheiterte das Vorhaben an seinen hohen Erwartungen und der Phaeton wurde eher sang und klanglos 2016 weit unterhalb der erwarteten Absatzzahlen ohne Nachfolger eingestellt. Bereits 2011 lief in der Gläsernen Manufaktur in Leipzig der letzte Phaeton W12 vom Band.
An dieser Stelle kommt auch der zuvor erwähnte V10 TDI wieder ins Spiel. Als der Diesel gemeinhin noch als saubere Zukunftstechnologie galt, bot man das enorme 5,0-Liter-Triebwerk ab Ende 2002 als Gegenstück zum W12-Benziner exklusiv für Phaeton und Touareg an. Der Zehnzylinder allerdings traf nie auf sonderlich viel Kundeninteresse, gleichzeitig war er in Werkstätten durch seine hohe Komplexität gescheut. Audi wiederum entwickelte zur gleichen Zeit einen noch größeren 6,0-Liter-V12-TDI, der es ab 2008 einzig in die erste Modellgeneration des SUV Q7 schaffte.
W12-Biturbo im Bentley Continental GT ab 2003
Um motorentechnisch nicht noch mehr auszuholen, der schnelle Schritt zurück ins Jahr 2003. Parallel zur Oberklasse-Offensive bei Volkswagen und Audi, präsentierte auch Bentley, übernommen durch VW im Jahr 1997, auf der "D-Plattform" von A8 und Phaeton seine damals erste wirkliche Neukonstruktion seit über 70 Jahren. Den Bentley Continental GT. Ein Langstrecken-Coupé mit klassischen Formen und W12-Antrieb.
Allerdings galt es bei einer Nobelmarke wie Bentley, die in direkter Konkurrenz mit Rolls-Royce (seit 1998 Teil der BMW Group), aber auch Ferrari und Aston Martin gesehen wird, noch eine ganze Schippe oder zwei Turbolader draufzulegen. Eben diese steigerten die Leistung des W12-Motors von ursprünglich 420 PS (später 450 PS) auf damals beachtliche 560 PS und 650 Newtonmeter Drehmoment. Von null auf 100 km/h wuchtete sich "der schnellste Lastwagen der Welt" (ein Zitat, das Ettore Bugatti zugesprochen wird) in gerade einmal 4,8 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit wurde mit Tempo 318 angegeben.
Zu diesem Zeitpunkt begann die Karriere des W12 bei Bentley, die voraussichtlich im April 2024 nach dann über 100.000 Stück ihr Ende findet. Laut Werk bestehen nur noch wenig freie Produktionsslots für den Zwölfzylinder, da die Nachfrage ungebrochen scheint. Verbaut wurde der W12 bei Bentley nicht nur im Continental, sondern auch in den Modellen Bentayga und Flying Spur. (Text: tv | Bilder: Hersteller | Quelle u.a.: Oliver Schmidt Podcast "Alte Schule")