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Bericht: 20 Jahre Volvo 850 – Auf zu neuen Galaxien

Mit klassisch kantigen Linien und großem Kombi schien der vor 20 Jahren  präsentierte Volvo 850 das Konzept seines erfolgreichen Vorgängers 240 konsequent fortzuschreiben.

Tatsächlich aber war der 850 nicht nur evolutionär, sondern revolutionär wie bis dahin kein anderes Modell der schwedischen Marke. Nie zuvor führte Volvo so viele Innovationen ein wie beim 850, einem Mittelklassemodell mit Frontantrieb, das entscheidend für die Zukunft der Schweden sein sollte. Der Weg zum ersten Volvo mit Vorderradantrieb glich allerdings einer fast endlosen Odyssee durch Zeit und Raum. Begonnen hatte die Entwicklung des Projekts „Galaxy“, zu dem neben dem 850 auch die kleinere 400-Baureihe zählte, bereits 1978. Erreicht wurden die Galaxien neuer Erfolge aber erst 15 Jahre später als die 850-Baureihe mit Limousine und Kombi komplett war. Dazwischen lagen für Volvo drei geplatzte Unternehmensfusionen und die mit 16 Milliarden Kronen (entsprach rund vier Milliarden Mark) bis dahin größte Entwicklungsinvestition in der schwedischen Industriegeschichte.

Mit dem 850 wollte Volvo endgültig den großen Sprung nach vorn schaffen und weltweit gleichbedeutend mit Audi, BMW und Mercedes sein. Ziele, die aber trotz des enormen Entwicklungsaufwands nur teilweise realisiert wurden. So konnte der erste Mittelklasse-Volvo mit Vorderradantrieb, optionalem Allradantrieb und bis zu 250 PS starken Fünfzylinder-Motoren zwar das einstige sportliche Markenimage wiederbeleben und mit Seitenaufprallschutz und Seitenairbags die Liste der schwedischen Sicherheitsinnovationen ergänzen. Nicht verhindern konnten der 850 und sein Ende 1997 eingeführten Facelift-Nachfolger S70/V70 jedoch, dass Volvo seine Unabhängigkeit verlor.

Nach gescheiterten Allianz-Verhandlungen mit Renault wurde das Göteborger Unternehmen 1999 von Ford übernommen. Heute zählt der 850 zu den beliebtesten und gesuchtesten familientauglichen Youngtimern überhaupt - als letzter klassischer Volvo mit kantigen Formen, aber dem Fahrspaß sportlicher Fronttriebler oder Allradler.  

Die schwierige Suche nach einem neuen Image

Modisch-sportliches Image suchte Volvo fast schon verzweifelt seit Mitte der 1970er Jahre. Die großen internationalen Rallye-Erfolge und die Sportler 1800 S und 1800 ES waren Vergangenheit, stattdessen wurden mit der bereits über zehn Jahre alten 140/240-Reihe fast nur noch pragmatische Talente wie Langlebigkeit und der Slogan „Sicherheit durch Schwedenstahl“ verbunden. Wenig positiv fürs Image war auch die Übernahme der betagten Modellpalette des niederländischen Kleinwagenherstellers DAF.

Höchste Zeit also für eine Innovations- und Imageoffensive, die 1978 unter dem Code Galaxy lanciert wurde. Während sich das neue Sechszylinder-Flaggschiff 760 ab 1982 mit traditionellem Hinterradantrieb um die konservativen Kunden kümmern sollte, setzte das Galaxy-Programm in der Mittel- und Kompaktklasse auf zwei Neukonstruktionen mit Vorderradantrieb. Mit den Typenserien „800“ und „400“ sollte das junge zahlungskräftige Publikum gewonnen werden, das nicht nur in Amerika, dem größten Volvo-Markt, zunehmend zu Audi und BMW abwanderte.

Renault-Kooperation füllt leere Volvo-Kassen

Richtig in Fahrt kam Galaxy aber erst, als Volvo seine fast schon chronisch leere Investitionskasse gefüllt hatte. Nachdem Fusionsverhandlungen mit Saab ebenso gescheitert waren wie Gespräche über eine Unternehmensbeteiligung des norwegischen Staates, kam es zu einer Kooperation mit Renault und der Ausgabe neuer Aktien, die den notwendigen Geldfluss sicherten. So entstanden schließlich 1982 die ersten Prototypen des künftigen 850, dessen Markteinführung aber erst für die 1990er Jahre vorgesehen war. Vielleicht ahnten die Projektleiter bereits, das der 850 zur Überlebensfrage für Volvo als unabhängiger Hersteller wurde. Immerhin handelte es sich um das größte Entwicklungsvorhaben in der Geschichte, zu dem sogar die Einrichtung eines neuen Werks in Gent/Belgien zählte.

Nachdem sich das Karosserieangebot der 800er-Serie markencharakteristisch auf kantige Viertürer und Kombis konzentrierte und eine ursprünglich konzipierte schicke Schräghecklimousine als Rivale zu den Saab Combi-Coupés in den ewigen Prototypenasservaten geparkt wurde, startete die geheime, weltweite Straßenerprobung der ersten nordischen Fünfzylinder. Richtig ernst wurde es aber erst als 1988 ein schon seriennaher Prototyp in Arizona von Erlkönigjägern erlegt wurde und das Bild der neuen Limousine um die Welt ging.

Voll im Plan

Volvo legte nun den Produktionsstart des Viertürers auf die Kalenderwoche 15 im Jahr 1991 fest, der in vielen Ländern wichtigere Kombi folgte erst mit zwei Jahren Verzögerung. Keine weitere Verspätung gab es dafür beim Bandanlauf in Belgien. Am 16. April 1991 rollte der erste Viertürer aus den Werkshallen in Gent und wurde anschließend auf den Namen 850 GLT getauft. Während dabei die „800“ den Neuen knapp unter dem damaligen Spitzenmodell 960 positionieren sollte, indizierte die mittige „5“ die Zahl der Zylinder.

Spannend blieb aber auch der Karriereauftakt des ersten nordeuropäischen Fünfzylinders. Nachdem Volvo 1990 erstmals in die roten Zahlen gerutscht war, musste der 850 GLT ein Gewinner werden. Als kurz danach auch noch die Verlobung mit Renault überraschend aufgelöst wurde, lastete noch mehr Erfolgsdruck auf der neuen nordischen Mittelklasse. Erwartungen, denen der 850 erst nach und nach gerecht wurde. Denn anfangs gab es den 850 GLT nur mit einem einzigen Motor und wie erwähnt nur als Limousine. So blieb der frontangetriebene Volvo-Fünfzylinder nicht nur in Deutschland in der Masse der Mittelklasse vorläufig Nebendarsteller.

Durchbruch mit dem Kombi

Den endgültigen Durchbruch brachte erst zwei Jahre später der Kombi, der hierzulande zum gleichen Preis angeboten wurde wie die Limousine. Mit unverwechselbarer vertikaler Rückleuchtenreihe in der C-Säule als Erkennungszeichen und einem ganzen Portfolio leistungsstarker Fünfzylinder – als bis dahin einziger Kombi startete der 850 sogar erfolgreich bei Tourenwagenrennen der britischen BTCC-Serie – weckte der vielseitige Schwede nun die erhoffte Begehrlichkeit nicht nur bei Volvo-Stammkunden sondern auch bei Fahrern von Audi, BMW und Mercedes. Schon 1994 war jeder zweite in Deutschland verkaufte Volvo ein 850 und in Schweden belegte die Modellreihe sogar Platz eins der Zulassungsstatistik – im nationalbewussten Norden für ein Auto aus kontinentaleuropäischer Produktion ein bis dahin nicht für möglich gehaltenes Resultat. Nicht einmal die kompakteren und preiswerteren Volvo-850-Frontantriebsgeschwister S40 und V40 aus niederländischer Fertigung konnten da mithalten.    

Volvos Imagewandel zum Hersteller begehrenswerter Fahrmaschinen, die mehr transportierten als Familie und Freizeit, nahm Fahrt auf. 1995 umfasste die konsequent erweiterte 850-Palette bereits sechs Motoren, darunter den bis dahin stärksten skandinavischen Turbo aller Zeiten. In drei auf jeweils 2.500 Einheiten limitierten Editionen entwickelte sich der 850 T5-R mit aufgeladenem 240-PS-Fünfzylinder zum heiß begehrten familientauglichen Porschejäger mit so nicht einmal von Volvo erwartetem Liebhaberstatus. Zuteilungsreife Kaufverträge der gesuchten Nordmänner wurden sogar mit deutlichem Aufschlag gehandelt. Noch stärker war nur der Volvo 850 R mit 250 PS.

1978: Das Entwicklungsprojekt Galaxy wird initiiert

1982: Die ersten Prototyp-Modelle des künftigen 850 werden präsentiert

1985: Präsentation des 480 ES mit Frontantrieb. Entwicklung eines fünftürigen Schrägheck-Prototypen vom 850

1987: Eine seriennahe Form des 850 wird verabschiedet

1988: Vorstellung des Volvo 440 mit Frontantrieb. Erste Erlkönigfotos des seriennahen Volvo 850 werden veröffentlicht. Ausstattung des neuen Werks Gent mit Maschinen und Werkzeugen. Zielvorgabe, in Woche 9115, also in der 15. Woche des Jahres 1991 die Produktion zu starten

1990: Auf dem Amsterdamer Salon kommuniziert Volvo eine bevorstehende Allianz mit Renault

1991: Am 11. April Produktionsstart und endgültige Namensfindung für die Limousine 850 GLT. Auf der IAA feiert der Volvo 850 seine Weltpremiere. Seine Entwicklung hat 16 Milliarden Kronen gekostet und gilt als teuerste jemals in Schweden getätigte Investition in eine Automobilentwicklung

1992: Im Sommer Einführung der neuen Einstiegsversion 850 GLE mit 140 PS. Ende des Jahres Produktionsanlauf 850 Kombi. Markteinführung des 850 GLT in den USA

1993: Auf dem Genfer Salon feiert der 850 Kombi Weltpremiere. Im August debütiert der 850 T5 (Turbo) mit 225 PS Leistung als bis dahin stärkster Volvo aller Zeiten. Im Mai läuft der letzte Volvo 240, Vorgänger des 850, vom Band. Auf der IAA präsentiert Volvo eine überarbeitete Version des 850 mit neuen Scheinwerfern, Stoßfängern und modifiziertem Interieur. Das Zusammengehen von Renault und Volvo scheitert

1994: Auf dem Genfer Salon feiert der 850 T-5R mit 240 PS starkem Fünfzylinder-Turbo Weltpremiere. Limitierte Auflage von insgesamt 7.500 Einheiten in drei Serien. Die Marke feiert ihre Rückkehr in den Tourenwagensport mit einem 290 PS starken 850 Kombi, der von Richard Rydell erfolgreich in der British Touring Car Championship BTCC eingesetzt wird

1995: Seitenairbags serienmäßig. Im Modelljahr 1995 erreicht der 850 sein bestes Verkaufsergebnis mit 88.430 Limousinen und 88.961 Kombis. Tom Walkinshaw Racing setzt in der BTCC eine 850 Limousine ein, die am Saisonende Platz 3 in der Markenwertung belegt und im Folgejahr dieses Ergebnis wiederholt. Von 1995 bis 1997 startet der 850 Kombi beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring.

1996: Mit 64.900 Mark ist der 850 T5 das bis dahin teuerste Volvo Großserien-Modell aller Zeiten. Der 850 AWD debütiert als erster Volvo Großserien-Pkw mit Allradantrieb. Neues Spitzenmodell wird der 850 R mit 250 PS. Auf dem Pariser Salon feiert das C70 Coupé Weltpremiere, die technische Basis liefert der 850/S70

1997: Produktionsstart von S70 und V70 als Weiterentwicklungen des 850. „S“ steht für Sedan, „V“ für Versatility, „C“ für Coupé bzw. Cabriolet. Das C70 Cabriolet geht als erstes Volvo Großseriencabriolet in Produktion. Vorstellung des V70 XC als „Cross-Country“-Modell

1999: Volvo wird vom Ford-Konzern übernommen

2000: Produktionsauslauf der zuletzt S70 Classic und V70 Classic genannten Weiterentwicklungen des 850

Volvo 850 (ab 1991) mit 2,4-Liter-(170 PS)-Fünfzylinder-Benziner

Volvo 850 (ab 1992) mit 2,4-Liter-(140 PS)-Fünfzylinder-Benziner

Volvo 850 T5 (ab 1993) mit 2,3-Liter-(225 PS)-Fünfzylinder-Benziner

Volvo 850 (ab 1994) mit 2,0-Liter-(126 PS)-Fünfzylinder-Benziner

Volvo 850 T-5R (ab 1994) mit 2,3-Liter-(240 PS)-Fünfzylinder-Benziner

Volvo 850 TDI (ab 1995) mit 2,5-Liter-(140 PS)-Fünfzylinder-Turbo-Diesel

Volvo 850 R (ab 1996) mit 2,3-Liter-(250 PS)-Fünfzylinder-Benziner

Volvo 850 AWD (ab 1996) mit 2,4-Liter-(193 PS)-Fünfzylinder-Benziner

Volvo S70 (ab 1997) mit 2,0-Liter-(126 PS)-Fünfzylinder-Benziner bzw. 2,4-Liter-(144 PS bzw. 170 PS)-Fünfzylinder-Benziner bzw. 2,5-Liter-(140 PS)-Fünfzylinder-Turbo-Diesel

Volvo S70 T5 (ab 1997) mit 2,3-Liter-(240 PS)-Fünfzylinder-Turbo-Benziner bzw. 2,4-Liter-(193 PS)-Fünfzylinder-Niederdruck-Turbo-Benziner

Ausgewählte Produktionszahlen 850/S70/V70

Volvo 850 insgesamt: 716.903 Einheiten (1991-1997),

davon 390.835 4türige Limousinen (1991-1997),

davon 326.068 5türige Kombis (1992-1997),

Volvo S70/V70 insgesamt: 562.748 Einheiten (1997-2000),

davon 242.916 4türige S70 Limousinen (1997-2000),

davon 319.832 5türige V70 Kombis (1997-2000),

Volvo 850/S70/V70 insgesamt: 1.279.651 Einheiten (1991-2000).

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        ## Nachfolger, Derivate und endgültiges Aus nach Ford-Fusion

Neben diesen Leistungsträgern war es vor allem der 850 AWD, der als erster schwedischer Großserien-Pkw mit Allradantrieb für Aufsehen und Ansehen sorgte. Amerikanische Medien feierten den 850 als Reifen rauchende Rakete und das mit Abstand weltweit schnellste und sportlichste Fahrzeug seiner Art. Auszeichnungen und Würdigungen, die sonst eher Supersportwagen zu Teil wurden und deshalb von der Volvo-Werbung gerne zitiert wurden. Einzigartig war auch eine spektakuläre Rekordfahrt auf zwei Rädern, die 1997 für weltweite Schlagzeilen sorgte. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 159,18 km/h auf dem fliegenden Kilometer sicherte sich ein Volvo 850 einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde.

Den angestrebten Rang eines weltweit anerkannten Premiumherstellers erreichte Volvo zwar so schnell nicht, der Anfang war aber gemacht. Vor allem kamen die Schweden mit dem 850 in so kurzer Zeit auf noch nicht gekannte Stückzahlen. Dazu beigetragen hat übrigens auch ein sparsamer und robuster VW-Diesel, der das Programm der vier Fünfzylinder-Benziner, die auf damals sensationelle 20 Jahre Lebensdauer ausgelegt waren, abrundete.     

Der 850 brachte Volvo zurück in die Erfolgsspur, die Facelift-Versionen S70 und V70 setzten ab Ende 1997 den Sprint auf einen vorderen Rang in den Mittelklasse-Verkaufscharts fort. Unter neuer, bis heute gültiger Nomenklatur („S“ für Sedan und „V“ für Versatile) sollte die überarbeitete Volvo-Mittelklasse für den Übergang ins 21. Jahrhundert sorgen, zumal die Modellpalette um das sportlich-exklusive C70-Doppel ergänzt wurde. Während das im neuen schwedischen Werk Uddevalla gebaute Coupé an die große Tradition der edlen Volvo-Zweitürer 1800, 262 und 780 anknüpfte, ging das C70 Cabriolet als erster offener Volvo überhaupt in Großserie. Für die Unabhängigkeit des schwedischen Vorzeigeunternehmens blieben aber auch die erfolgsverwöhnten Modellserien 850 und 70 nur ein schneller, schöner Traum. 1999 geriet Volvo unter das Dach des Ford-Konzerns, fast gleichzeitig kam das Aus für die Autos mit Ecken und Kanten.  (sp-x)

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