"Toni" sollte in der Erprobungsphase durch viel Camouflage verbergen, womit der serienreife Sierra bei seiner Weltpremiere vor 30 Jahren Presse und Publikum verblüffte. Statt steifen Stufenhecks setzte der Sierra auf die Stilistik der Stromlinie mit modischer Heckklappe. Welten trennten den Taunus und sein britisches Schwestermodell Cortina vom neuen Sierra im Aerodesign, das zur globalen Ford-Formensprache der 1980er Jahre avancierte. Vorbereitet worden waren die Ford-Kunden auf das Ende der kantigen Konturen zwar bereits auf der IAA 1981 durch die stromlinienförmige und Sierra-verwandte Studie Probe III.
Das Premierenpublikum glaubte allerdings meist doch eher an ein visionäres Zukunftskonzept mit fließenden Linien und verkleidetem Unterboden als an den Vorboten der neuen Mittelklasse. Entsprechend gespalten waren die Reaktionen langjähriger Ford-Käufer auf den Sierra, der unter dem futuristischen geformten Blechkleid übrigens mit konservativem Hinterradantrieb überraschte, wenn auch in Kombination mit moderner Schräglenker-Hinterachse.
Die Märkte reagierten unterschiedlich
Während der Sierra in Deutschland schon als Fünftürer - Dreitürer und Kombi folgten zeitlich verzögert - eine Bestsellerkarriere startete, war der Auftakt in England eher holprig. Die Briten vermissten den kantigen Cortina, er war über viele Jahre das Volksauto Nummer eins gewesen. Erst die Einführung des Sierra mit Stufenheck (ab 1987) und der sportlichen Imageträger Sierra XR4i (ab 1983) sowie Cosworth (ab 1986) machten die Ford-Mittelklasse auf der Insel wieder zu einem Liebling der Mittelschicht.
Sportlich mochten auch die Amerikaner und Südafrikaner den Sierra. Als vom Karossier Karmann gefertigter Merkur XR4Ti (ab 1984) fand der Sierra Einlass in die Schauräume der amerikanischen Lincoln-Mercury-Händler, wo er das Mustang-Derivat Capri ersetzte. Dagegen befeuerte in Südafrika sogar ein 5,0-Liter-V8 aus dem Ford Mustang den Sierra XR8 (ab 1984). Ganz anders dagegen die Pickup-Version Sierra P 100, die aus der avantgardistischen Limousine einen Lastenesel machte, der nur in wenigen Ländern Freunde fand.
Vom Status eines wirklichen Weltautos, den noch die Zwillinge Taunus und Cortina besaßen, war der Sierra ohnehin weit entfernt. Zwar liefen bis 1993 über 2,7 Millionen Sierra von den Bändern, dies allerdings überwiegend in Deutschland, Belgien und Großbritannien. Außerhalb Europas gab es nur in Südafrika, Venezuela, Argentinien und Neuseeland nennenswerte Produktionen und Montagen. Auch hier fuhr der Ford formal seiner Zeit zu weit voraus. Hyundai verzichtete sogar gänzlich auf eine Fortführung der jahrzehntelangen Kooperation mit Ford und entwickelte den eigenständigen Stellar als Cortina-Nachfolger.
Futuristisches Design
Wie futuristisch der Sierra auf Betrachter wirkte, veranschaulicht anekdotisch vielleicht eine Verwechselung, die sich 1993 bei der Pressefahrvorstellung des Sierra-Nachfolgers Mondeo zutrug. Ein osteuropäischer Motorjournalist lief auf die Mondeo-Testflotte zu, erblickte dann plötzlich den privaten, spoilerbewehrten Sierra RS eines Kollegen, und glaubte nun einen Mondeo-Erlkönig in Motorsportspezifikation vor sich zu sehen. Eigentlich ein fast unglaublicher Irrtum, war das Sierra-Design damals doch bereits 12 Jahre alt und andererseits der Mondeo als spoilerfreies, gefälliges Weltauto geformt. Richtig alt sieht der Sierra aber nicht einmal heute aus, was dem vom Wind geformten Kölner den Kult- und Klassikerstatus seiner kantigen Vorgänger bislang verwehrte. Dafür gilt der Sierra als ewig junger Youngtimer.
- Chronik
- Ausgewählte Preise
- Motorisierungen
1981: Auf der IAA debütiert die Studie Probe III als Sierra-Vorläufer
1982: Weltpremiere des Ford Sierra als fünftürige Schräghecklimousine im Oktober auf dem Pariser Salon. Das Sierra-Frontdesign unterscheidet sich je nach Ausstattungslinie. Im gleichen Monat läuft die Produktion dieses Taunus-Nachfolgers an. Ab Dezember auch als "Turnier" genannter Kombi im Angebot
1983: Verkaufsbeginn des Ford Sierra XR4i im April. Besonderheiten der dreitürigen Limousine sind die jeweils drei Seitenfenster sowie der 2,8-Liter-Sechszylinder-Motor. Im September wird ein einfacher ausgestatteter Dreitürer eingeführt, der später auf verschiedenen Märkten die Zusatzbezeichnung Coupé erhält
1984: Die Motorenpalette wird überarbeitet, 1,6- und 1,8-Liter-Benziner ersetzen die bisherigen 1,6- bzw. 2,0-Liter-Motoren. Die Dreigang-Automatik wird von einer Viergang-Automatik abgelöst
1985: Nun bekommen auch die weniger gut ausgestatteten Sierra-Versionen den glattflächigen Kühlergrill. Dieser war bisher den Sierra in Ghia-Ausstattung vorbehalten. Den Lamellen-Grill mit drei Luftschlitzen haben nur noch der Diesel und das Sondermodell Laser. Ablösung des XR4i durch den XR4x4 im September. Der XR4x4 basiert auf der normalen viertürigen Kombi-Limousine und ist zusätzlich ausgestattet mit Heckspoiler, permanentem Allradantrieb sowie serienmäßigem ABS. Weltpremiere feierte der XR4x4 bereits auf dem Genfer Salon im März, ebenso der Sierra RS Cosworth als Basisfahrzeug für Tourenwagen-Rennen. Im Dezember Einführung eines geregelten Dreiwege-Katalysators für den 2,0i-Motor
1986: Einführung des Sierra Turnier XR4x4
1987: Alle Sierra-Versionen mit überarbeiteter Front und größeren Fenstern. Neu im Programm ist ab Januar eine Stufenheck-Limousine mit vier Türen. Im August feiert Ford zwei Millionen gebaute Sierra. In der Tourenwagenweltmeisterschaft erringt Ford den Konstrukteurstitel
1988: Den Sierra Cosworth gibt es nun auch als Straßenversion. Ab Februar ist der Sierra Cosworth mit Allrad-Antrieb, ABS und geregeltem Katalysator ausgestattet. Einführung eines neuen 2,0-Liter-Motors
1990: Modellpflege für alle Sierra, optisches Erkennungszeichen ist vor allem der neue Kühlergrill. Das bisher von Peugeot zugelieferte Diesel-Aggregat wird durch einen eigenen 1,8-Liter-Turbodiesel ersetzt
1993: Die Produktion des Ford Sierra endet im Mai. Als Nachfolger und neues Weltauto wird im März auf dem Genfer Salon der Ford Mondeo präsentiert
Ford Sierra 5türig 1.6 (1982): ab 16.600 Mark
Ford Sierra L 5türig 1.6 (1982): ab 17.640 Mark
Ford Sierra Ghia 5türig 2.3 (1982): ab 23.510 Mark
Ford Sierra Turnier 1.6 (1982): ab 17.465 Mark
Ford Sierra XR4i 3türig 2.8 i (1983): ab 28.350 Mark
Ford Sierra 3türig 1.6 (1985): ab 17.530 Mark
Ford Sierra 5türig 1.6 (1985): ab 18.800 Mark
Ford Sierra L 5türig 1.6 (1985): ab 19.800 Mark
Ford Sierra Ghia 5türig 2.3 (1985): ab 26.600 Mark
Ford Sierra Turnier 1.6 (1985): ab 19.765 Mark
Ford Sierra XR4i 3türig 2.8 i (1985): ab 32.645 Mark
Ford Sierra XR4x4 3türig 2.8i (1986): ab 38.800 Mark
Ford Sierra LX 3türig 1.6 (1988): ab 22.140 Mark
Ford Sierra LX 5türig 1.6 (1988): ab 22.650 Mark
Ford Sierra LX Limousine 4türig 1.6 (1988): ab 23.540 Mark
Ford Sierra S 5türig 2.0 i (1988): ab 28.800 Mark
Ford Sierra Ghia 5türig 2.0 (1988): ab 31.370 Mark
Ford Sierra XR4x4 5türig 2.9 (1988): ab 41.130 Mark
Ford Sierra CLX 5türig 1.6 (1992): ab 24.510 Mark
Ford Sierra CLX Turnier 1.6 (1992): ab 26.200 Mark
Ford Sierra CLX 5türig 1.8 Turbo-Diesel (1992): ab 29.440 Mark
Ford Sierra CLX Turnier 1.8 Turbo-Diesel (1992): ab 28.960 Mark
Ford Sierra Ghia 5türig 2.9 (1992): ab 39.610 Mark
Ford Sierra CLX 5türig 2.0 4x4 (1992): ab 33.780 Mark
Ford Sierra Cosworth 4x4 2.0 (1992): ab 70.700 Mark
Ford Sierra (1982-1993) mit 1,6-Liter-(55 kW/75 PS bzw. 59 kW/80 PS)-Vierzylinder-Benziner bzw. 1,8-Liter-(65 kW/88 PS bzw. 66 kW/90 PS)-Vierzylinder-Benziner bzw. 2,0-Liter-(74 kW/100 PS bzw. 77 kW/105 PS bzw. 85 kW/115 PS bzw. 88 kW/120 PS bzw. 150 kW/204 PS bzw.162 kW/220 PS)-Vierzylinder-Benziner bzw. 2,0-Liter-(66 kW/90 PS)-V-Sechszylinder-Benziner bzw. 2,3-Liter-(84 kW/114 PS)-V-Sechszylinder-Benziner bzw. 2,8-Liter-(110 kW/150 PS)-V-Sechszylinder-Benziner bzw. 2,9-Liter-(107 kW/145 PS)-V-Sechszylinder-Benziner bzw. 1,8-Liter-(55 kW/75 PS)-Vierzylinder-Diesel bzw. 2,3-Liter-(49 kW/67 PS)-Vierzylinder-Diesel
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Die provozierende Stromlinienform mit dem guten, aber dann doch nicht bahnbrechenden Cw-Wert von 0,34 stammte aus der Feder von Ford-Chefdesigner Uwe Bahnsen und kontrastierte zum eher konservativen Interieur. Schließlich sollten zumindest das geräumige Passagierabteil und die breite sowie bewährte Motorenpalette traditionell denkenden Mittelklassekäufern zusagen.
Rundum revolutionär wie etwa ein Citroën war der Sierra also nicht. Im Gegenteil, der Sierra verfügte weiter über Hinterradantrieb und die Motorenpalette mit Vier- und Sechszylinder-Benzinern unterschied sich nur durch einen zusätzlichen, aber betulichen Wirbelkammer-Diesel von Peugeot vom Vorgänger.
Die starken Sierra-Versionen
Abstand zur Konkurrenz durch Opel Ascona und VW Passat sowie Anschluss zu den höheren Fahrzeugklassen bei BMW und Audi suchte der Sierra via V6-Triebwerke, Allradversionen und potente Leistungssportler zu gewinnen. Den Anfang machte dabei 1983 der XR4i mit 150 PS starker 2,8-Liter-Maschine und prominentem Doppelflügel, gefolgt von einer ersten 4x4-Version (ab 1985), dem 204 PS entwickelndem Sierra Cosworth mit Vierventil-Technik und Turbo mit Ladeluftkühlung (ab 1985), dem nochmals stärkeren Sierra RS500 mit bis zu 220 PS (ab 1987) und einem 2,9-Liter-Sechszylinder (ab 1989).
Jede Menge Delikatessen für die Mittelklasse also, die durch motorsportliche Erfolge gekrönt wurden. Tatsächlich entwickelte sich der RS500 Cosworth zum weltweit erfolgreichsten Tourenwagen der Jahre 1987 bis 1990 mit WM- und EM-Titeln, 40 Siegen in der BTCC (British Touring Car Championship), Triumphen bei der berüchtigten Bathurst 1000, DTM-Meistertitel und Start-Ziel-Sieg beim 24 Stunden Rennen auf dem Nürburgring.
Modellpflege
Eine große Modellpflege genügte, um das Designerstück zwölf Jahre frisch zu halten. 1987 präsentierte sich der überarbeitete Sierra mit neuer Front – die sich in den Anfangsjahren je nach Ausstattungslinie unterschieden hatte – und mit geänderter Heckgestaltung. Hinzugekommen war außerdem die Stufenheck-Limousine, die zu einem kurzzeitigen Höhenflug startete und sogar gegen die gänzlich neue Passat-Limousine von 1988 Achtungserfolge erzielte.
Flankiert wurde die ansonsten weiterhin weder brave noch bürgerliche Kölner Mittelklasse seit 1985 von einem neuen Ford-Flaggschiff im Aerodesign, dem Scorpio. Während der Scorpio den Erfolg seines konservativen Vorgängers Granada nicht wiederholen konnte, gelang dem Sierra im siebten Verkaufsjahr ein kleines Wunder: Mit einer Jahresproduktion über 330.000 Einheiten übertraf er den Allzeit-Bestwert des Taunus um fast 50.000 Fahrzeuge.
Zugute kam ihm dabei die neue Sonderstellung des Sierra Turnier. Einen Scorpio als Kombi gab es vorläufig nicht und im Wettbewerbsumfeld galt der Sierra Turnier als besonders geräumig, fein und schnell. Ein Turnier als Lifestyle-Lastenexpress, der ebenso wie die restliche Sierra-Familie erst abtrat, als 1993 der Mondeo die Welt retten sollte. Vorder- statt Hinterradantrieb, runde Sachlichkeit statt Stromlinie lauteten die Vorgaben für den nüchtern gestalteten Mondeo. Unvergessen bis heute bleibt aber allein der Sierra als Design-Meilenstein der Massenkonfektion. (sp-x)