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Bericht: 60 Jahre BMW Isetta – Kultige Knutschkugel

Es waren glamouröse V8-Modelle und geradezu sensationelle Erfolge im Motorradsport, mit denen BMW im Jahrzehnt des Wirtschaftswunders die Rückkehr in den Zirkel der weltweit begehrenswertesten Marken feierte.

Entsprechend groß war das Entsetzen vieler Fans, als die Münchner Marke im Frühjahr 1955 eine automobile Minimalmotorisierung namens Isetta vorstellte. Eine Einstiegstür, eine Sitzbank, Einzylinder-Motorradantrieb, 1,50 Meter Radstand – weniger ging wirklich nicht. Bald waren Spottnamen für das sogenannte Motocoupé gefunden wie Schlaglochsuchgerät, Asphaltblase oder Adventsauto in Anspielung auf die patentierte aufschwingende Fronttür. Allein durch diese Öffnung war das Unikum zu besteigen, das trotz aller Bescheidenheit genug Platz bot für die dreiköpfige Familie und sogar für die Urlaubsfahrt ins ferne Italien, dem Land damaliger Sehnsüchte. So wurde die eiförmige Knutschkugel ein Auto zum Schwärmen, zumindest für alle Zweiradkäufer mit dem Wunsch nach vier Rädern und wettergeschütztes Reisen. Tatsächlich konnten viele der gut 30 konkurrierenden Kleinstwagen nicht einmal diesem geringen Lastenheft gerecht werden, weshalb der winzigste BMW am Ende ein echter Bestseller war. Vor allem aber seine wichtigste Mission erfüllte: Den Münchnern das finanzielle Überleben zu sichern.

Weltmeister der Einzylinder

Konnte BMW doch mit den parallel angebotenen Oberklassemodellen 501 und 502 sowie den sportlichen Schönheiten 503 und 507 trotz prestigeträchtiger V8-Motoren nie genügend Gewinn erzielen. Als die Bilanz für 1956 ein Defizit von mehr als sechs Millionen Mark auswies, begann sogar das Management den Glauben an die eigene Marke zu verlieren, wie eine Unternehmenschronik frustriert konstatierte. Hinzu kam, dass sich der Nachkriegsmotorradboom längst dem Ende zuneigte, woran bei BMW auch eine Serie an sportlichen Weltmeisterschaftstiteln nichts änderte. Wurden 1954 noch annähernd 30.000 Motorräder verkauft, waren es 1957 gerade einmal 5400 Einheiten. Da musste es schon als Glück gelten, dass BMW im letzten Moment auf den Modetrend der Kabinenroller aufgesprungen war und die Isetta ab 1955 sowie deren Weiterentwicklung BMW 600 ab 1957 dringend benötigtes Kapital erwirtschafteten, bis dann 1959 der Typ 700 als erster BMW-Kleinwagen in Pontonform für Furore sorgte. Vor allem übernahm nun einer der größten Aktionäre, Herbert Quandt, einen erheblichen Teil des BMW-Kapitals und stellte so die Weichen für den Start der Modellreihe BMW 1500 bis 2000. Erst als diese sogenannte „Neue Klasse“ 1962 in den Verkauf kam, verabschiedete sich die Isetta in den dann wahrlich wohlverdienten Ruhestand: Mit rund 162.000 verkauften Einheiten hatte sie es zum meistgebauten Einzylinder-Auto aller Zeiten gebracht.

1953: Die Fahrzeugmarke Iso Autoveicoli S.P.A. wird eingetragen. Zunächst konzentriert sich die Produktion auf das dreirädrige Modell Iso Isetta Turismo, einen Kabinenroller. Ab 1954 werden rund 20.000 Einheiten produziert

1954: Iso vergibt Lizenzen für das Modell Isetta nach Frankreich (Velam), Spanien (Iso Espana), Großbritannien und Brasilien. Vor allem aber nach Deutschland an BMW, wo das Kleinstfahrzeug als BMW Isetta, nun mit vier Rädern, ein Großserien-Bestseller wird. BMW-Mitarbeiter hatten den Iso zuvor auf dem Genfer Salon gesichtet und die Weiterentwicklung zum vierrädrigen Rollermobil konzipiert. BMW erhielt das Recht zum Isetta-Export nach Österreich, in die Schweiz und nach Skandinavien. Die Lintorfer Hoffmann-Werke produzieren eine Kopie der Isetta (allerdings mit seitlicher Tür), nachdem sie von Iso keine Lizenz erhalten haben. Nach etwa 100 produzierten „Hoffmann Auto Kabinen“ wird die Produktion eingestellt, denn BMW gewinnt einen Plagiatsprozess gegen das rheinische Unternehmen. Die Iso Isetta startet bei der Mille Miglia  – mit einem Achtungserfolg: Auf der über 1600 Kilometer langen Strecke erreichen die Fahrer eine Durchschnittsgeschwindigkeit von über 70 km/h

1955: Am 5. März Vorstellung des Motocoupés BMW Isetta 250, deren Fertigung im April startet. Die Außenlänge beträgt nur 2,29 Meter, der Radstand 1,50 Meter, das Leergewicht 350 Kilogramm. Mit nur 250 Kubikzentimetern Hubraum zielt die Isetta auch auf die Inhaber des alten Führerscheins der Klasse IV. Die eigenwillige Figur der ursprünglich italienischen Kreation galt sogar als chic. So gewinnt die Isetta im Sommer den Schönheitswettbewerb beim Automobilturnier in Bad Harzburg in der Preisklasse bis 4000 Mark

1956: Im Februar Produktionsanlauf der Isetta 300. Neu ist die serienmäßige Handbremse. Im Oktober startet die Fertigung der modifizierten und besser ausgestatteten BMW Isetta Export (250 und 300). Neu sind Schiebefenster an den Seiten sowie eine kleinere Heckscheibe aus Sicherheitsglas. Entfall der bisherigen Ausstellfenster. Statt Reibungsdämpfer nun auch an Vorderachse Teleskopstoßdämpfer. Entwicklung einer US-Exportversion mit anderen Leuchteinheiten. Außerdem wird ein Pickup-Modell konzipiert, das auf der Cabrioversion der Isetta (als Cabriolimousine mit Faltverdeck, aber festem Dachrahmen und ohne Heckscheibe) basiert. Als Studie entsteht eine viersitzige Isetta mit zwei Fondtüren, das erste Konzept für den späteren BMW 600, der allerdings aus Kostengründen mit nur einer seitlichen sowie der vorderen Tür auskommen musste

1957: Der BMW 600 wird im Dezember in Serienfertigung geschickt, ebenfalls mit Motorradmotor (aus der BMW R 50). Als Einzelstück entsteht auf Basis des BMW 600 ein Jagdwagen

1959: Nach knapp zwei Jahren endet im November die Produktion des BMW 600. Nachfolger wird der größere BMW 700 in Pontonform. Für Exportmärkte werden rund 1.500 BMW Isetta als Dreirad produziert, um so eine günstigere Steuereinstufung zu erreichen

1962: Nach 161.728 Einheiten Produktionsende für die BMW Isetta. Die Isetta ist das meistgebaute Einzylinder-Auto aller Zeiten. Der Vorstandsbericht 1962 vermerkt: “Die Isetta-Herstellung lief nach Aufarbeitung der Vorräte im Mai planmäßig aus.“

Insgesamt 161.728 Einheiten, davon

BMW Isetta 250: 33.345 Einheiten (1955-1957)

BMW Isetta 300: 18.629 Einheiten (1956-1957)

BMW Isetta 250 (Export): 53.365 Einheiten (1956-1962)

BMW Isetta 300 (Export): 54.784 Einheiten (1956-1962).

Zum Vergleich. BMW 600: 34.813 Einheiten (1957-1959)

Iso Isetta Turismo (1953/54-1955) mit 0,25-Liter-(7 kW/10 PS)-Zweizylinder-Zweitakt-Benziner

BMW Isetta 250 mit 0,25-Liter-(9 kW/12 PS)-Einzylinder-Viertakt-Benziner;

BMW Isetta 300 mit 0,3-Liter-(10 kW/13 PS)-Einzylinder-Viertakt-Benziner;

BMW 600 mit 0,6-Liter-(14 kW/19,5 PS)-Zweizylinder-Viertakt-Benziner.

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Eine derartige Erfolgsbilanz hatten der Isetta anfangs nicht einmal die Optimisten in der BMW-Chefetage zugetraut. Bestimmte doch Mangel an finanzieller Masse die Entwicklung eines BMW-Mikromobils. Auf dem Genfer Salon 1954 entdeckten BMW-Entwicklungsingenieure jedoch ein hübsches italienisches Dreirad-Citycar, das ideal geeignet schien für den Einbau eines BMW-Motorradmotors und mit vier Rädern zum Auto aufgerüstet werden könnte. Also knüpfte BMW Bande zu dem jungen Turiner Kleinstauto-Hersteller Iso, der seine hübsche Isetta in Italien bereits zum Erfolgsmodell gemacht hatte. Überdies hatte Unternehmenschef Renzo Rivolta bereits internationale Lizenzen an europäische und südamerikanische Hersteller verkauft. Auch BMW erhielt eine Lizenz und außerdem das Recht zum Isetta-Export auf andere Märkte wie Österreich, in die Schweiz und nach Skandinavien.

Sogar eine Isetta-Variante mit Rechtslenkung gab es – und  eine Serie von 1500 Isetta mit nur drei Rädern, um Steuervorteile auf manchen Märkten zu nutzen. Zuerst aber musste BMW einen Prozess gewinnen gegen die rheinischen Hoffmann-Werke. Die „Hoffmann Auto Kabine“ war bis auf die seitliche Tür ein Plagiat der Isetta, das der deutsche Vespa-Roller-Hersteller Jakob Oswald Hoffmann 1954 selbstsicher in Serie gehen ließ, nachdem ihm Iso eine Lizenz verweigert hatte.

Liebling von Stars und Sternchen

Was nur der BMW Isetta gelang und so allen anderen Mikroben vom Gutbrod Superior über den Maico Champion bis zum Zündapp Janus und letztlich sogar dem legendären Messerschmitt Kabinenroller verwehrt blieb, war der Erfolg des Massenmodells mit eindrucksvoller sechsstelliger Produktionszahl. Allein das größere Goggomobil war noch populärer, konnte dafür jedoch nicht als Gesellschaftslöwe glänzen wie die hübsche Isetta. Denn die Münchnerin beherrschte geradezu großartig den Spagat zwischen Sparwunder und schrillem Glamourgirl.

Während die BMW-Werbung noch darauf verwies, dass die Isetta „weniger Steuer“ koste „als ein Großstadt-Dackel“, schmückten sich Stars bei Fototerminen bereits gerne mit dem Motocoupé. Gleich ob Formel-1-Seriensieger Stirling Moss, Hollywood-Superstar Cary Grant oder Leinwandlegende Curd Jürgens, die Isetta war Kult. Sogar der King of Rock'n Roll, Elvis Presley, ließ sich mit einer fotografieren, angeblich schenkte er sie später seinem Manager. Vor allem aber erfüllte die Isetta alle automobilen Motorisierungswünsche, gab es sie doch bereits ab 2550 Mark. Dafür genügte dem durchschnittlichen deutschen Arbeitnehmer ein halbes Jahresgehalt. Billiger war damals kaum ein anderes autobahn- und langstreckentaugliches Gefährt - „die Berge hinunter an die 100 km/h“, jubelte die Presse. Noch wichtiger, die Isetta machte niemanden zur „Witzblattfigur“, schließlich gab es von manchen Marken Vehikel, die als Konservendosen und „Menschen in Aspik“ verspottet wurden.

Freude am Einparken

Stattdessen punktete die wendige und handliche Isetta sogar bei den Frauen, zumal das BMW-Marketing kommunizierte: „Frauen fahren besser“. Vor allem wenn der laut Werbung mit seinem Wagen „etwas eigene Herr Gemahl“ einen V8-BMW chauffierte. Tatsächlich gab es für das 2,29 Meter kurze Coupé mit der vorderen Tür von BMW-Konstrukteur Fritz Fiedler einen Tipp fürs Einparken: „Man fährt senkrecht zur Bordschwelle in die Parklücke hinein, parkt das Fahrzeug und steigt nach vorn unmittelbar auf den Gehsteig aus.“ Eine Parkordnung, auf die sich später Smart-Fahrer besannen, auch wenn ihr Mobil deutlich länger war.

Die Isetta überlebte die meisten ihrer Konkurrenten, aber Ende der 1950er Jahre hatten  spartanische Kleinstwagen ihren Zenith überschritten, die Kunden verlangten richtige Autos. BMW schickte deshalb zunächst den Typ 600, eine verlängerten Isetta mit Zweizylinder-Boxermotor ins Rennen. Tatsächlich konnte der rundliche Viersitzer der Isetta den Rang als Umsatzbringer Nummer eins ablaufen, trug er doch 1958 zu 39 Prozent am BMW Umsatz bei, dagegen brachte es die Isetta auf 27 Prozent. Dennoch verbuchte der kürzeste BMW-Vierrädler noch bis 1962 Erfolge, zuletzt durch CKD-Lieferungen zur Montage im Ausland. (as/sp-x)

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