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Bericht: Seat 1200 Sport Bocanegra – Spanischer Mini-Stier

Seat kann mittlerweile auf eine 60-jährige Geschichte zurückblicken. In Deutschland werden die Autos aus Spanien allerdings erst seit rund 30 Jahren importiert. Mit einem seltenen Bocanegra von 1976 fuhren wir eines der ersten Modelle, die hier angeboten wurden.

Autos aus den siebziger Jahren haben oft ihr eigenes Flair. Plüschige Sitze, verspielte Armaturen, klapprige Türen und grelle Farben bestimmen das Bild. Auf den Seat 1200 Sport Bocanegra trifft das alles hundertprozentig zu. Mit der giftgrünen Lackierung und der schwarzen Schnauze sieht der Bocanegra (spanisch für schwarzer Mund) nicht nur ungewöhnlich aus, er ist auch sehr selten. Denn von dem Sport Coupé (1200 und 1430 Sport) wurden zwischen 1975 und 1979 weltweit lediglich 19.431 Fahrzeuge verkauft – und nur wenige haben bis heute überlebt.

Besonderer Charme

Leider, denn das Auto hat nicht nur seinen ganz eigenen Charme, sondern auch für Deutschland eine besondere Bedeutung: Der 1430 Sport Bocanegra war das erste Seat-Modell, das 1977 vom Importeur Walter Hagen in Deutschland offiziell eingeführt wurde. Bis dahin mussten sich die meisten für den Export bestimmten Seat mit einem Fiat-Zeichen tarnen und liefen deshalb unter italienischer Flagge im Ausland.

Entgegen vielen anderslautenden Meinungen ist der Bocanegra aber kein reiner Lizenznachbau eines Fiat, sondern ein spanisches Eigengewächs. Wieso Fiat? Die Italiener gründeten 1950 gemeinsam mit dem spanischen Staat und einigen Banken die Autofirma Seat (Sociedad Espanola de Automóviles de Turismo S.A“) in der Nähe von Barcelona. Erst seit 1986 gehört das Unternehmen zum VW-Konzern.

Auch in der Zeit der Franco-Diktatur und der engen Kooperation mit Fiat wollte Seat selbstständiger werden. 1975 gingen die Ingenieure mit der Eigenentwicklung Seat 1200 und ab 1977 mit dem 1430 Sport Coupé in diese Richtung. Die Coupés mit mattschwarzer Kunststoffschnauze standen in einigen Ländern in unmittelbarem Wettbewerb zum zeitgleich angebotenen Lizenzbau Seat 128/3P, der auf dem Fiat 128 basierte. Ein Erfolg wurde der Bocanegra, gemessen an den mageren Verkaufszahlen, allerdings nicht.

Kompakt-Coupé

Das 1200 Sport Coupé ist (wie der 128/3P) ein zweitüriges Coupé der Kompaktklasse. Mit 3,66 Meter Länge würde das Auto heute allerdings eher dem Segment der Kleinwagen zugeordnet werden. Lediglich der 1,2-Liter Motor diente als Leihgabe von Fiat, im Seat leistete das Triebwerk satte 67 PS. Damit ist der 805 Kilogramm leichte Spanier selbst heute noch gut unterwegs. Ein herzhafter Dreh am Zündschloss erweckt das „Sport“-Triebwerk zum Leben. Anhand der Zusatzarmaturen für Motordrehzahl, Batteriespannung, Wasser- und Öltemperatur lässt sich der Aggregatzustand des Südländers genau ablesen. Das war für damalige Zeiten schon wahrer Luxus. Sogar eine Uhr und die beheizbare Heckscheibe gehörten zur Serienausstattung. Dagegen vermisst man heute einen rechten Außenspiegel.

Mit den weichen Sofa-Polstern und dem niedrig angehangenen Anschnallgurt freundet man sich ebenso schnell an wie mit den weit rechts positionierten Pedalen. Der Seat ist ein Kind der siebziger Jahre und so fährt er sich auch – pur, nackt und ehrlich. Auf ein Radio muss man ebenso verzichten wie auf alle elektronischen Helfer und Komfortteile. Wer kühle Frischluft will, muss die Fensterscheiben runter kurbeln.

Der Motor braucht ordentlich Drehzahl, um sportlich zu wirken. Unter 3.500 Touren scheppert der Vier-Zylinder vor sich hin, erst ab 4.000 Umdrehungen wird er bissig, gibt aber Töne wie der letzte Stier in der Arena von Barcelona. Für den Gangwechsel benötigt man die Kraft eines Toreros – einfacher geht es mit viel Zwischengas. Dann tanzen die Vorderräder Flamenco. Dabei bleibt der Verbrauch mit deutlich unter acht Litern erfreulich niedrig. Das ist praktisch, denn der Tank fasst lediglich 25 Liter.

Wendig

Technische Daten

Zweitüriger Kompaktwagen Länge: 3,66 Meter; Breite: 1,55 Meter Höhe: 1,25 Meter Radstand: 2,2 Meter Leergewicht 805 Kilogramm vier Sitze Bauzeit: 1975-1979

1,2-Liter Vierzylinder mit 50 kW/67 PS bei 5.600 Umdrehungen, Frontantrieb, manuelles Vierganggetriebe, Vmax: 160 km/h

Die Front hebt sich beim Beschleunigen wie ein Schiff bei hohem Wellengang und erleichtert die Kurbelarbeit. Auch dank der guten Rundumsicht und geringen Lenkkräften ist eine Fahrt im Stadtverkehr heute ein Genuss. Bei Ampelstarts lässt der Bocanegra aktuelle Kleinwagen hinter sich und das Einparken gelingt auch ohne Parksensoren in zwei Zügen.

Dabei wirkt der Bocanegra mit seiner schwarzen Schnauze keineswegs aggressiv oder böse, sondern eher extrovertiert und lustig. Neben der prägnanten Front aus weichem Kunststoff hat die Boca-Variante auch ein hochgelegtes dünnes Auspuffendrohr. Dadurch knattert es bei flotter Fahrweise recht ordentlich – so, wie es sich für einen Sportwagen gehört. Doch so teuer neue Flitzer sind, so selten ist das historische Modell. Wer ein gut erhaltenes Ersatzteil der schwarzen Front sucht, braucht vor allem zwei Dinge: Geduld und Geld. Einzelne Teile oder auch ein kompletter Bocanegra sind nämlich kaum aufzutreiben. Dafür bietet Seat seit Kurzem wieder einen aktuellen „schwarzen Schnäuzer“ an. Auf Basis des Ibiza FR und Cupra ist der neue Bocanegra nicht nur sportlicher, sondern mit einem Einstiegspreis von 21.550 Euro auch noch günstiger. SP-X

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