Acht Jahre Dieselgate in aller Kürze
Im September 2015 wurde festgestellt, dass (der) Volkswagen(-Konzern) bei einigen seiner Dieselautos illegale Abschaltvorrichtungen in der Motorsteuerung verwendete, um den Ausstoß von gesundheitsschädlichen Stickoxiden bei Abgastests zu reduzieren. Hier erlangte vor allem der Vierzylinder-Diesel mit der internen Bezeichnung EA189 über die Grenzen technikbegeisterter Autofans hinweg traurige Berühmtheit. Verbaut wurde der als „Schummel-Diesel“ bezeichnete Selbstzünder in zahlreichen VW-Konzernmodellen, auch bei Audi, Seat und Skoda.
Nach und nach wurde zudem bekannt, dass auch andere deutsche und internationale Hersteller auf ähnliche Weise betrogen haben. Die Aufdeckung der Manipulationen führte im Weiteren zu einer allgemeinen Diskussion über die Zukunftsfähigkeit des Diesels, das Aussprechen von zahlreichen Fahrverboten (zuletzt Anfang 2023 in München) und endete vor allem für Volkswagen in einer wahren Prozessschlacht. Milliarden an Entschädigungen wurden gezahlt, Fahrzeuge betroffener Kunden zurückgenommen und in den USA mussten sogar zwei VW-Manager für den Skandal ins Gefängnis.
Um was ging es nun vor dem Schleswiger Verwaltungsgericht?
Als eine von zahlreichen Entschädigungsleistungen für den Dieselskandal wurde Volkswagen unter anderem in Deutschland dazu verpflichtet, bei betroffenen Fahrzeuge mit dem Konzernmotor EA189 ein Software-Update aufzuspielen. Diese Maßnahme sollte die illegale Abschalteinrichtung im Motorsteuergerät dauerhaft entfernen und wurde von VW-Vertragswerkstätten im Jahr 2016 entsprechend durchgeführt. Genehmigende Behörde war das Kraftfahrzeug-Bundesamt (KBA).
Eben jene oberste deutsche Fahrzeugbehörde wurde nun von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig mit der Begründung verklagt, dass besagte Software-Update entferne zwar diese eine Abschalteinrichtung, nicht aber das sogenannte „Thermofenster“. Diese temperaturabhängige Abgasrückführung, wie es Volkswagen selbst bezeichnet, regelt die Abgasreinigung bei bestimmten Außentemperaturen, beispielsweise unterhalb von 10 Grad, auf ein Minimum herunter. Die Folge: Im realen Straßenbetrieb wird die Umwelt wesentlich stärker mit Schadstoffen belastet als in der jeweiligen europäischen Abgasnorm festgesetzt.
Das Verwaltungsgericht in Schleswig urteilte nun am 20.02.2023 in erster Instanz zugunsten der DUH, dass es sich auch bei dem seinerzeit vom KBA genehmigten Thermofenster um eine illegale Abschalteinrichtung handelt. In einem ersten Statement nach der Urteilsverkündung bestritt Volkswagen nicht das Vorhandensein jener Thermofenster, begründete die temperaturabhängige Abgasrückführung, genauso wie das zuständige KBA, allerdings mit dem Schutz des Motors vor Beschädigungen oder Unfall.
Weitet sich der Diesel-Abgasskandal auf Euro-6-Diesel aus?
Zunächst ist das Urteil noch nicht für rechtskräftig erklärt worden. Sollte dies der Fall sein, müsste das Kraftfahrzeug-Bundesamt allerdings handeln und im ersten Schritt gegen Volkswagen tätig werden. Die Deutsche Umwelthilfe sieht das Urteil als „Durchbruch gegen illegale Abschalteinrichtungen“ und fordert vom KBA und dem Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) entsprechende Maßnahmen einzuleiten und auf eine Revision zu verzichten. Betroffene Fahrzeuge müssten schnellstmöglich durch das Amt zurückgerufen und auf Kosten des Herstellers nachgerüstet oder – falls nicht möglich – stillgelegt werden.
Das Brisante für alle, die sich bisher nicht angesprochen fühlten: Obwohl es in dem Musterverfahren um einen VW Golf TDI mit Abgasnorm Euro 5 geht, lässt die DUH wissen, dass bereits gegen 118 weitere Genehmigungen des Kraftfahrzeug-Bundesamtes, unter anderem gegen jüngere Dieselfahrzeuge mit den Abgasnormen Euro 6a und b, Verfahren anhängig sind. Betroffen sind dann auch Fahrzeuge vieler anderer Hersteller, nicht nur aus Deutschland. Denkbar ist zudem eine Ausweitung auf Benzinfahrzeuge, da auch diese über solche Thermofenster verfügen.
Nach Aussage der Deutsche Umwelthilfe wären allein in Deutschland von einem potenziellen Rückruf mehrere Millionen Fahrzeuge beinahe aller namhaften Hersteller betroffen. Für den Verein besteht kein Zweifel daran, dass sich auch die allermeisten Euro-6-Fahrzeuge bis zur Ausbaustufe „d-temp“ (bei VW wäre dies unter anderem der EA189-Nachfolger EA288 ohne "evo"-Zusatz) durch besagtes Thermofenster auf dem Papier sauberer geben, als sie wirklich sind (Text: tv)