Sicher, VW könnte den Phaeton auch in einem seiner zahlreichen anderen Werke bauen. Oder man hätte eine große, schlichte Produktionsstätte jenseits der Stadtmauern aus dem Boden stampfen können, gebaut nach den eigenen Anforderungen, ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf Anwohner und örtliche Gegebenheiten.
Doch in Wolfsburg hat man sich, vor über zehn Jahren, für das Dresdner Stadtzentrum entschieden, wohlwissend, welche Herausforderungen ein Produktionsstandort mitten in der Stadt mit sich bringt. Denn anders als etwa beim BMW-Stammwerk in München-Freimann, um das die Stadt herum gewachsen ist, musste sich VW in ein fertiges Arrangement von Häusern, Straßen und Parks einfügen.
Warum Dresden?
Warum also Dresden? Die Suche nach einem Standort erfolgte nach der Entwicklung des Autos. Mit dem Phaeton hat VW das technisch Machbare auf höchstem Niveau realisiert und mit gediegenem Luxus verbunden. So ein Automobil lässt sich nicht in einem beliebigen Werk fertigen, der Rahmen muss passen; und nicht nur die Produktion, sondern auch die Art und Weise wie das Fahrzeug präsentiert und schließlich an den Kunden übergeben wird, muss stimmen.
Die Entscheidung für die Region an sich ruht auf sachlichen Überlegen. Hier hat es die nötige Infrastruktur und das Land Sachsen spielt bei der Automobilproduktion schon immer eine große Rolle. Bis zum zweiten Weltkrieg baute Horch hier Nobelkarossen und VW selbst betreibt, schon lange vor der Gläsernen Manufaktur, Produktionsstätten in Zwickau und Chemnitz.
Kultureller Bezug
Dass sich Volkswagen schließlich explizit für Dresden ausgesprochen hat, hat dagegen eher ideelle Gründe: Der Exklusivität des Phaetons sollte das seriöse Ambiente einer historischen Kulturstadt entsprechen. Und Dresden kann hier mit einigen Highlights aufwarten, nicht zuletzt dem Zwinger) (target=undefined), der Semperoper (target=undefined), der Frauenkirche und dem Residenzschloss mit dem Grünen Gewölbe. Die Entscheidung Ferdinand Piëchs, den Phaeton im Elbflorenz zu bauen, soll schließlich bei einer Festveranstaltung im altehrwürdigen Taschenbergpalais gefallen sein.
So überrascht es nicht, das VW auch bei der Namensgebung auf eine Kulturtradition anspielt. Manufaktur, das erinnert zum einen an die Meißner Porzellanmanufaktur (target=undefined); dort wurde das weiße Gold zu einem kulturellen Markenzeichen gemacht. Zum anderen weckt der Name Assoziationen mit den Uhrmacherbetrieben in Glashütte) (target=undefined), wo in feinster Handarbeit filigrane Schätzchen gefertigt werden.
Besorgte Bürger
Doch kultureller Bezug hin oder her: Ein Automobilwerk mitten in der Stadt sorgte freilich zunächst für Aufruhr bei den Anwohnern, die Dreck, Lärm und hohes Verkehrsaufkommen befürchteten. Doch genau das ist nicht eingetreten und fügt sich die Gläserne Manufaktur nun harmonisch und fast schon unauffällig in die durchaus sensible Umgebung.
Kein Wunder also, dass unser Rundgang mit einem Blick über den Gartenzaun, den es bei der Gläsernen Manufaktur übrigens gar nicht gibt, beginnt. Auf der Rückseite des Gebäudes liegt der Große Garten, einst kurfürstlicher Jagdgarten für Johann Georg I. und inzwischen Volkspark und Naherholungsgebiet der Dresdner; ein Ort der Ruhe, nur ein paar Gehminuten vom Trubel rund um die Frauenkirche entfernt. Daneben der botanische Garten, wo in Gewächshäusern die große, weite Welt der Pflanzen nach Sachsen geholt wird.
Stolperstein
Auf der anderen Seite befinden sich die Lennéstraße und Stübelallee mit dem Straßburger Platz, ein wichtiger Verkehrsknoten der Landeshauptstadt. Und daneben: Plattenbauten. Überbleibsel einer Zeit, in der die Autos aus Zwickau und Eisenach kamen und Monsungelb oder Delphingrau waren.
Herrlich gegensätzlich und doch bestens angepasst wirkt das Meisterwerk Gläserne Manufaktur an diesem Ort wie ein architektonischer Stolperstein, der sich doch harmonisch in das große Ganze einfügt, als wäre es schon immer so gewesen. Als sollte es so sein. Ersonnen hat diesen Ort, an dem Automobilproduktion zur Kunst wird und der selbst ein Kunstwerk zugleich ist, vor nunmehr zehn Jahren das Büro Henn Architekten unter der Leitung von Prof. Dr. Gunter Henn. Er hat unter anderem auch die Autostadt in Wolfsburg und das Audi Forum in Ingolstadt erdacht.
Märchenschloss
Umrahmt von einem Wassergraben, wie ein Märchenschloss mit einer Zugbrücke, steht die Manufaktur trutzburgähnlich da und wirkt doch leicht und filigran. Den Besucherbereich, inklusive Lobby, Restaurant und der Lounge für die Fahrzeugübergabe haben die Architekten offen mit organischen, fließenden Formen gestaltet. Die weichen Rundungen wirken harmonisch, schaffen eine Wohlfühlatmosphäre, die zum Verweilen einlädt.
Der lichtdurchflutete Eingangsbereich der Gläsernen Manufaktur, in Anlehnung an die Gewächshäuser von Schlössern Orangerie genannt, dient übrigens nicht nur als repräsentative Lobby, hier finden auch kulturelle Veranstaltungen, zusammen mit der Semperoper und der Sächsischen Staatskapelle statt; ein Punkt, der viel zur Akzeptanz des Autobauers in der Landeshauptstadt beigetragen hat.
Kultur im Autowerk
So wurde auch 2002, nachdem die Semperoper auf Grund der Hochwasserschäden geschlossen war, im Foyer ein Monat lang Bizets Carmen aufgeführt. Und schließlich ist da noch das Restaurant Lesage im Erdgeschoss, das nicht nur bei VW-lern als eines der besten der Stadt gilt und im dem es sich, mit Blick auf den 40 Meter hohen Glasturm, in dem die fertigen Phaetons auf ihre Kunden warten, köstlich dinieren lässt.
Im Atelier genannten Bereich stellen zukünftige Phaeton-Fahrer ihr Fahrzeug nach persönlichen Wünschen zusammen. Hier können alle Lackfarben, Ledersorten und Edelhölzer betrachtet und ausgewählt werden. Hier, im richtigen Licht, wird zum Beispiel auch der Unterschied zwischen Pianoschwarz und Deep Black Perleffekt deutlich und Schritt für Schritt kann hier ein individueller Phaeton kreiert werden. Auch Sonderwünsche, die nicht auf der Optionsliste stehen, lassen sich hier besprechen - und sie werden in der Regel auch erfüllt.
Kubischer Fertigungsbereich
An die geschwungene Architektur des Besucherbereichs schließt sich das eigentliche Autowerk an. Bewusst setzt Henn bei dem rund 150 Meter langen, L-förmigen Funktionsbereich auf geradlinige, streng kubische Formen. Und natürlich auf viel Glas. Von allen Seiten sind die Produktionsbänder einsehbar, nicht nur von innen, sondern durch die 27.500 Quadratmeter große Fensterfläche auch von der Straße. Ein wichtiger Punkt: So sehen die Dresdner, wenn sie mit der Tram vorbeifahren oder die Lennéstraße entlang flanieren, was hier passiert. Und die Arbeiter kommen in den Genuss, bei Tageslicht zu arbeiten und immer mal wieder nach draußen Blicken können.
Doch das ist nicht der einzige Unterschied zu herkömmlichen Produktionswerken. Nicht nur, dass es in Dresden keine Mitarbeiter in ölverschmierten Overalls gibt - hier tragen die Arbeiter weiße Anzüge - und es nicht wie in einer Fabrik riecht. Es ist dazu auch noch leise. Fast schon zu leise. Sähe man es nicht mit eigenen Augen, würde man glauben, hier wird nicht geschafft.
Steigender Absatz
Dass dem so ist, zeigen nicht zuletzt die Zahlen. Gut 7.500 Fahrzeuge wurden im Jahr 2010 hier produziert. Doch dürfte der Rekord dieses Jahr schon wieder eingestellt werden: Zehntausend Phaetons hofft man 2011 zu bauen. Dafür wurde Anfang des Jahres von einer auf zwei Schichten umgestellt.
Auf die gemeinsame Pause verzichtet man trotz der steigenden Nachfrage nicht. Zur Mittagszeit stehen die Bänder still und es wird zusammen gegessen. Und dafür bräuchte es noch nicht einmal eine Kantine, denn wenn es den sprichwörtlichen Boden, von dem man essen kann, irgendwo gibt, dann sicher hier, in der Gläsernen Manufaktur. Statt auf grauem Estrich läuft man auf feinstem Parkett - in einer Automobilproduktionsstätte, wohl gemerkt.
Elegante und durchdachte Lösungen
Es fällt schwer, aus dem Staunen wieder rauszukommen. Hinter jeder Ecke wartet die Manufaktur mit neuen, überraschenden und unerwarteten Details auf. Da sind zum einen die gläsernen Aufzüge, die unter anderem die Rohkarossen, die übrigens aus Zwickau kommen, und alle anderen Bauteile zur richtigen Zeit an den richtigen Ort transportieren. Und zwar nicht nur dort, wo Besucher es sehen. Auch im Hof, wo die Lkws ankommen, gibt es einen Lift aus Glas.
Freilich kam auch Henn bei aller Ästhetik nicht umher, sich an bauliche Vorschriften zu halten. Statt aber unschöne, rote Feuerlöscher in den Weg zu stellen, dachte der Architekt nach - und fand eine Lösung. Wie stumme Diener stehen in regelmäßigen Abständen unauffällige Säulen, die für den Brandfall den Wasserschlauch bereithalten.
Gläserne Manufaktur
Wer noch mehr über die Gläserne Manufaktur erfahren möchte, kann sich unter www.glaesernemanufaktur.de informieren. Viel Wissenswertes zur Architektur gibt es im Neuen Architekturführer des Stadtwandel Verlags (Band 130), der für 5 Euro direkt beim Verlag (www.stadtwandel.de (target=undefined)) bestellt werden kann.
Oder sie fahren nach Dresden, und lassen sich selbst von der Gläsernen Manufaktur beeindrucken. Geöffnet ist täglich von 8 bis 20 Uhr, die Fertigung läuft Montag bist Donnerstag von 6 bis 23 Uhr und Freitags von 6 bis 21 Uhr. Führungen werden stündlich angeboten, Sonntags um 16 Uhr gibt es auch eine spezielle Architekturführung.
Frühling vom Band
Das Henn gerne einen Schritt weiter denkt, zeigt sich an noch mehr Beispielen. In der großen, gläsernen Fassade sahen Naturschützer eine Gefahr für Vögel. Doch der Architekt verbat es sich, schwarze Federvieh
Ein, nein eigentlich zwei, weitere Highlights finden sich im Innenhof, bei der Warenanlieferung; hier ist übrigens auch die 500 Meter lange, hauseigene Teststrecke mit verschiedenen Asphaltarten, direkt unter dem botanischen Garten. Damit die Dresdner Innenstadt von Lkws befreit wird, hat VW den Transport der meisten Bauteile vom rund fünf Kilometer entfernten Lager in Friedrichstadt auf die Schiene verlegt.
Eigene Trambahnen
Und zwar auf die Straßenbahnschiene. Mit der CarGo-Tram) haben die Wolfsburger zwei eigene, je 1,8 Millionen Euro teure Trambahnen, die von den Dresdner Verkehrsbetrieben gefahren werden und im öffentlichen Netz unterwegs sind. An den Haltestellen werden die bis zu 50 km/h schnellen Züge liebevoll als VW-Bahn angekündigt.
Genau dieser Trambahnen wegen, von denen jede in etwa die Ladung dreier 18 Meter langer Lkw aufnimmt, mussten die Architekten einen weiteren Trick anwenden. Der TÜV hat für die Haltestelle im Hof verständlicherweise einen Rammbock vorgeschlagen. Das eine Gleis geht bis zur Wand, dort war dies kein Problem. Doch das andere endet auf halber Strecke, leicht versetzt dazu. Ein Rammbock würde dort nur Platz wegnehmen und im Weg stehen, wenn Gabelstapler die Züge entladen. Henns Lösung: Ein versenkbarer Rammbock, der erst dann ausfährt, wenn die, beladen immerhin bis zu 150 Tonnen schwere, Tram anrollt.
Die verrückten Deutschen
Die Liste an Erstaunlichem, Verwunderlichem und Kuriosem ließe sich noch lange fortschreiben. Zum Beispiel die um die Anekdote der beiden unterschiedlichen Parkettarten in der Werkshalle, die oft die Frage aufwerfen, ob denn das helle Holz ausgegangen sei. Natürlich nicht! Das helle Parkett, kanadischer Bergahorn, wird dort verbaut, wo das Auto noch auf dem Band fährt. Die dunklere, deutsche Mooreiche gibt es dagegen in den Bereichen, wo der Phaeton schon auf eigener Achse fährt - weil es strapazierfähiger ist. Spätestens hier schütteln vor allem ausländische Gäste gern den Kopf und fühlen sich in ihrem Bild von den "crazy Germans" bestätigt.
Und unter den rund 100.000 Besuchern, die sich jährlich von der Gläsernen Manufaktur beeindrucken lassen, sind freilich auch viele ausländische Gäste, vor allem aus dem nahegelegenen Tschechien, aber auch aus der ganzen Welt. Die meisten von ihnen verlassen die heiligen Hallen allerdings wieder zu Fuß. Denn seinen eigenen Phaeton mit nach Hause zu nehmen, ist nur wenigen gegönnt.
Theatralische Übergabe
Doch nicht nur das Zusammenbauen des Phaetons wird hier in Dresden zelebriert, auch die Übergabe an den Kunden ist ein einmaliges Spektakel. Statt in einer großen Auslieferungshalle wie in Wolfsburg, Ingolstadt oder Sindelfingen warten die Käufer in einer privaten, gemütlichen Lounge auf den Moment, in dem ihr persönlicher Wagen zur Übernahme bereit steht.
Im eigentlichen Auslieferungssalon fährt dann auf fast schon theatralische Art und Weise der Phaeton, bei gedämmten Licht und leiser Musik, mit dem Aufzug aus den Katakomben der Gläsernen Manufaktur nach oben, um dann endlich in Kundenhand überzugehen. Natürlich nicht ohne eine detaillierte Einweisung - und erst nach erfolgreicher Testfahrt. Denn jedes Fahrzeug, dass die Produktion verlässt wird von einem VW-Techniker auf einer 30 Kilometern langen Strecke noch einmal überprüft.
Herzlichen Glückwunsch
Dann endlich kann sie losgehen, die erste Fahrt im Phaeton; das große Tor geht auf und über die Brücke geht es hinaus in die Welt. Und schon auf den ersten Metern spürt man: Der Aufwand, den VW in der Gläsernen Manufaktur für jeden einzelnen Phaeton betreibt, lohnt sich. Woran man das merkt, dass sagen wir Ihnen bald - denn auch wir durften zum zehnjährigen Geburtstag einen VW Phaeton V8 aus Dresden mitnehmen. Herzlichen Glückwunsch und auf die nächsten zehn Jahre!