TDI. Das Kürzel stand ganz früher, Anfang der Neunziger, für absolute Innovation. 90 PS im Audi 80 1.9 TDI waren damals gut für sensationelle Verbrauchswerte, einen fast unkaputtbaren Motor und bei Bedarf auch für 200 Stundenkilometer (laut Tachometer) auf der Autobahn. Abgesehen von immer leistungsstärkeren Dieselmotoren änderte sich das Ansehen des TDI radikal erst am Ende des Jahres 2015, als gewisse Betrügereien innert kürzester Zeit aufflogen und damit in gewisser Weise auch ein (zu?) schnelles Ende des Verbrennungsmotors einläuteten. Und in Ingolstadt? Da wagte man zuletzt nun doch einen Schritt, den ihnen nach diesem ganzen Heckmeck keiner mehr ernsthaft zugetraut hatte: Ein Comeback des Dieselmotors, des TDI. Jetzt noch stärker, noch schneller und "ab sofort auch in Ihrem S4" (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 7,1-6,9 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 186-179 g/km²).
Die Reaktionen: Zwiegespalten
Moment: Ein TDI in einem S4? Ja sind denn die Damen und Herren drunten im tiefsten Bayern noch ganz bei Trost? In einem SQ5 oder einem SQ7 mag ein Diesel ja vielleicht noch angehen, aber doch nicht in einer sportlichen Mittelklasselimousine! In einem S4 war bislang immer ein Benziner verbaut und das soll bitte auch so bleiben! So oder so ähnlich dürften die Stammtischparolen gelautet haben. Und natürlich darf man die Frage stellen, weshalb Audi gerade in solch schwierigen Zeiten den Schritt geht, ein in der Gesellschaft nur noch halbwegs akzeptiertes Antriebskonzept in eines seiner gefragten S-Modelle zu setzen. Doch dann muss man gleichzeitig auch die Frage stellen: Warum eigentlich nicht? Sowohl S4 als auch S6 sind gefragte Firmenwagen der Oberliga, die "braven" Varianten mit dem Dreiliter-Diesel ebenso. Weshalb also nicht das Prestige der S-Modelle mit dem vielfahrertauglichen V6-TDI kombinieren?
Ein solches Konzept führt natürlich nur zum Erfolg, wenn beides miteinander funktioniert. Denn einerseits darf ein S4 oder S6 nicht zu aggressiv abgestimmt werden, um Kilometerfresser nicht abzuschrecken. Andererseits muss der Diesel sportlich genug sein, um die Bedürfnisse der Audi-Sport-Kundschaft zu befriedigen. Der Spagat zwischen komfortabler und dennoch sportlicher Mittelklasselimousine ist damit um einen weiteren Aspekt reicher geworden, den es zu berücksichtigen gilt. Und den wir auf unserer Route quer durch Deutschland und die Schweiz ausgiebig untersucht haben.
Ist der S4: Komfortabel?
Der erste Eindruck unseres turboblauen Probanden ist nach der ersten Sitzprobe durchaus positiv. Im komfortablen Sinne. Die aufpreispflichtigen S-Sportsitze (925 Euro) wirken zwar für große Fahrer etwas knapp geschnitten, bieten aber neben einer Massagefunktion auch vielfältigste Einstellmöglichkeiten und ermöglichen damit jedem eine angenehme Sitzposition, die für mehrere 100 Kilometer am Stück tauglich ist. Auch das Platzangebot ist zumindest für Vornreisende vollkommen ausreichend. Die zweite Sitzreihe bietet hingegen für ein Gardemaß von mehr als 1,90 Meter nur beengte Verhältnisse - von Kopf, über Knie, bis Fuß. Wer aber selten mit mehr als zwei Personen unterwegs ist, dürfte sich daran kaum stören. Sehr tief ist dafür der Kofferraum, der auch mehr als den Wochenendeinkauf schluckt.
Nichts für Benzin-Connaisseure: Der V6 TDI
Nach Druck auf den Startknopf meldet sich der auf 347 PS hochfrisierte 3.0 TDI vernehmlich zu Wort. Sein Klang lässt sich mittels Fahrmodi von dezent bis präsent individuell anpassen. Die leichten Vibrationen, die bis ins Lenkrad vordringen, bleiben immer. Sie sind nicht störend, doch gemeinsam mit dem unverhohlenen Klangbild macht der V6 deutlich: Er will sich nicht verstecken. Und dabei soll man nicht etwa vergessen, dass er ein Diesel ist. Uns gefiel das wohlige Brummeln mit der Zeit immer besser, es dürfte jedoch nicht jedermanns Sache sein. Aus seinen dynamischen Qualitäten macht der S4 TDI ebensowenig einen Hehl. Bis 1.800 Umdrehungen pro Minute registrierten wir zwar ein deutliches Turboloch. Darüber aber drücken 700 Newtonmeter die Insassen mehr als überzeugend ins Gestühl. Der Selbstzünder agiert dabei sogar überraschend drehfreudig, wobei das verfügbare Drehzahlband naturgemäß ein recht schnelles Ende findet. Dazu aber im Sportkapitel mehr.
Hochklassig: Das Fahrwerk
Denn wir waren ja beim Fahrkomfort: Und hier überzeugt das serienmäßige Magnetic-Ride-Fahrwerk in jeder Hinsicht. Zwar ist es dreifach verstellbar, doch bewegten wir den S4 überwiegend in der "Comfort"-Einstellung, da diese einen idealen Spagat - siehe oben - zwischen Sportlichkeit und Abrollkomfort darstellt. Gegebenenfalls wirkten sich die 18-Zoll-Winterreifen positiv auf letzteren aus, doch der S4 rollt fein über sämtliche Verwerfungen, Querfugen und Schlaglöcher ab. Sie werden gut abgedämpft, ohne den Fahrer vollständig über den Fahrbahnzustand im Unklaren zu lassen. Und auch bei hohen Fahrgeschwindigkeiten lässt sich der S4 nicht aus der Ruhe bringen, bleibt in Kurven spurstabil und von schnellen Richtungswechseln unbeeindruckt. Währenddessen macht sich die lange Übersetzung der Achtgang-Tiptronic positiv bemerkbar: Bei 130 km/h dreht der Dreiliter lediglich 1.500 Umdrehungen.
Ist der S4: Sportlich?
Nachdem wir festgestellt haben, dass der S4 TDI den komfortablen Part so gut spielen kann wie ein normaler A4 TDI, kommen wir nun zum sportlichen Teil der Prüfung. Und damit zur Lenkung, mit der wir nach mehr als 2.000 Kilometern überraschenderweise sehr zufrieden waren. In unserem Testwagen war die Dynamiklenkung zu 1.000 Euro verbaut. Selbige funktionierte wie im Audi-Pressetext beschrieben: Bei niedrigen Geschwindigkeiten in der Stadt wird der Lenkbefehl quasi digital umgesetzt. Damit suggeriert der S4 TDI zwar eine Spontanität, die schon etwas übertrieben wirkt - aber sei es drum geschehen. Sobald man schneller fährt, nimmt dieser Effekt ab. Die Lenkung wird um die Mittellage deutlich ruhiger, reagiert aber weiterhin präzise und willig auf den vorgegebenen Lenkwinkel. Selbst Einflüsse von außen werden nicht vollends weggefiltert, sodass die meiste Zeit eine deutliche Rückmeldung im Volant zu spüren ist.
Eine solche ist besonders bei der zügigen Hatz auf der Landstraße immer noch von Vorteil, selbst wenn das manche Hersteller mittlerweile anders sehen. Hat man zuvor mit der hervorragend schnell schaltenden Tiptronic die richtige Fahrstufe vorgewählt und bleibt leicht am Gas, schafft es der 3.0 TDI auch, den S4 kraftvoll aus der Kurve herauszubeschleunigen. Traktion ist dank heckbetontem Quattro-Allrad immer im Überfluss vorhanden, ganz gleich bei welchen Wetterbedingungen. Etwas schade: Hochgeschaltet wird selbst im manuellen Getriebemodus von allein. Auch die generelle Charakteristik eines Dieselmotors, ganz gleich wie gut er umgesetzt wurde, unterscheidet sich natürlich deutlich von einem Benziner. Wie bereits angedeutet muss der Selbstzünder auf Touren gehalten werden, gewinnt an Fahrt durch sein frühes und vehementes Drehmoment, nicht durch seine maximale Leistung, die bereits nach gut 4.000 Touren erschöpft ist.
Gibt es auch ernste Kritik?
Zu kritisieren gibt es freilich immer irgendetwas. Sicherlich die im Alltag störendste Eigenschaft der ansonsten perfekt agierenden Tiptronic war ihre Unentschlossenheit im Stop-And-Go-Verkehr, ob sie nun Fahrstufe 3 oder 2 einlegen sollte. Dies führte zu reproduzierbaren Gedenksekunden beim Tritt aufs Gaspedal, ganz egal in welchem Fahrmodi in Getriebeposition D, S oder M. Auch das stetige Bemühen des siebten von acht Gängen, um von der Richtgeschwindigkeit etwas zu beschleunigen, machte manchmal einen etwas hektischen Eindruck. Mittlerweile gewohnt sind wir ja die rigorose Aufpreispolitik der Ingolstädter: Simple Dinge wie digitaler Radioempfang stehen immer noch mit 350 Euro in der Aufpreisliste. Und dass man trotz Phone Box (450 Euro) und Smartphone Interface (320 Euro) immer noch nicht die Möglichkeit hat, kabellos auf Apple CarPlay zuzugreifen, ist ein Trauerspiel, auf das der Volkswagen-Konzern mittlerweile sogar im Passat reagiert hat.
Eigenes Kapitel: Der Abstandstempomat (ACC)
Feinkritik muss sich auch der im Assistenzpaket Tour (1.400 Euro in Verbindung mit MMI Touch (2.250 Euro) und Einparkhilfe (780 Euro)) enthaltene Abstandsregeltempomat (ACC) gefallen lassen. Dieser ist in der Lage, neben dem Abstand zum Vordermann auch die durch Verkehrsdaten und Verkehrszeichenerkennung übermittelte erlaubte Höchstgeschwindigkeit automatisch zu übernehmen, ohne dass der Fahrer eingreifen muss. So die Theorie. Doch führten vor allem im Nachbarland der Eidgenossen offensichtliche Fehlinformationen dazu, dass ACC "aus dem Nichts" bei erlaubten 120 Stundenkilometern den Befehl zum Abbremsen auf deren 30 gab. Was auf einer vielbefahrenen Autobahn nicht nur ärgerlich, sondern ein enormes Sicherheitsrisiko darstellen kann. Auf deutschen Autobahnen funktionierte das System derweil nahezu perfekt. So fährt es bei eingestellter Distanzregelung nahe genug an den Vordermann heran, ohne viel zu früh auf dessen Geschwindigkeit abzubremsen. Ferner überholt der S4 langsamere Verkehrsteilnehmer nicht rechts, sondern passt sich der links gefahrenen Geschwindigkeit automatisch an. Ein - bis auf die gelegentlichen Aussetzer - hervorragendes Feature, dessen Order wir einem Vielfahrer definitiv empfehlen würden.
Fazit
Mit dem S4 TDI ist Audi die vielumworbene eierlegende Wollmilchsau gelungen. Der 1,9-Tonner beherrscht sowohl die sportliche als auch die komfortable Gangart nahezu perfekt, ohne dabei sein S-Logo zu verleugnen. Den Dieselmotor sollte der S4-Kunde jedoch mögen, verherrlicht der Dreiliter doch recht ungeniert seine selbstzündende Herkunft, erhält dadurch aber auch umso mehr Charakter. Wer das vielleicht sogar mag, der erwirbt mit dem S4 eine schnelle, komfortable und uneingeschränkt alltagstaugliche Reise-Limousine, die zudem noch wenig verbraucht: 7,2 Liter Testverbrauch ist ein Wert, den bislang noch kein S4 als Benziner erreicht hat. So viel ist sicher. (Text und Bild: Maximilian Planker)
Technische Daten*
- Modell: Audi S4 Limousine TDI
- Antrieb: Sechszylinder-Turbomotor, 2.967 ccm
- Leistung: 347 PS (255 kW) bei 3.850 U/min
- Drehmoment: 700 Nm zwischen 2.500 und 3.100 U/min
- Antrieb: Allantrieb, 8-Gang-Automatik
- Verbrauch kombiniert: 7,1-6,9 l/100 km²
- CO2-Emissionen kombiniert: 186-179 g/km²
- Beschleunigung (0 – 100 km/h): 4,8 s
- Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h
- Abmessungen (L/B/H): 4,77 m/1,85 m/1,41 m
- Gewicht ca: 1.855 kg
- Tankvolumen: 58 l
- Grundpreis: 62.600 Euro
*Herstellerangaben