So lässt die Vorfreude auf weit über 500 PS, mehr als 700 Newtonmeter, zwölf Zylinder und einen perfekt arrangierten Arbeitsplatz schon vor dem Motorstart sämtliche Muskeln zucken – auch im Fond. Die Qual der Wahl lautet also: vorne oder doch lieber hinten?
Dass ist nämlich die Hauptfrage, wenn man sich dem BMW 760 Li nähert und in ihm Platz nehmen darf: vorne, hinten, vorne, hinten, vorne …? Hinten! Denn hier ist Reinfleetzen und Wohlfühlen in Perfektion angesagt. Vollelektrisch und in alle Himmelsrichtungen lassen sich die anschmiegsamen Sitze justieren und in jeder gewünschten Position abspeichern. Sitzheizung, -belüftung und -massage sind übrigens inklusive im 760 Li. Das generiert ein Wohlgefühl, das nur noch durch die Luftausströmer im Dach und die Klima-Bedieneinheit zwischen den Vordersitzen gesteigert wird.
Nicht einschlafen
Wenn man es dann tatsächlich schafft, dem Komfort des Luxus-Liners nicht zu verfallen und einzuschlafen, darf man sich an einer Vielzahl Spielereien erfreuen. So gibt es optional eine zweite i-Drive-Bedieneinheit. Hier ist man (schon wieder) König und kann sogar sämtliche Funktionen des „Haupt-i-Drive“ bedienen. Um nur eine kleine Auswahl zu nennen: Navigation (mit Foto-Perspektive von Google-Maps), Audio-Anlage, TV, Internet – alles lässt sich von hinten aus steuern und verändern – sofern der Fahrer einmal diese Option freigeschaltet hat. Ansonsten beschränken sich die Spielereien auf die beiden Riesen-Displays an den Frontsitzen.
Perfekt ist jedoch im 760 Li nicht alles. Beim Internet fehlen eine schnelle Verbindung und die Möglichkeit der schnellen Browser-Bedienung. Via Controller funktioniert die Eingabe nur zweitklassig. Denn jeder Buchstabe muss umständlich einzeln „erdreht“ werden, und jede Bewegung mit dem Cursor mühselig angepeilt werden. Zudem funktionieren Flash-Programmierungen nicht einwandfrei. Der Spaß am Internet ist also schnell vorüber, die Jahresgebühr von rund 150 Euro für die uneingeschränkte www-Nutzung damit überflüssig. Jedes iPhone kann das besser.
Der V12 tanzt
So konzentriert man sich auch als Passagier schnell wieder auf das Wesentliche, das Autofahren. Entkoppelt ist hier der treffende Begriff. Der Fahrer sitzt gefühlt meilenweit entfernt, die Umgebungsgeräusche sind dank Doppelverglasung kaum wahrnehmbar und der V12-Motor säuselt sanft vor sich hin. Lediglich bei Volllast, wenn das Dutzend im Bug lostanzt, tut sich auch hinten was. Denn seine Stimme erhebt sich dezent, die Turbolader zischeln und der Druck in die Lenden steigt blitzartig an. Das Erlebnis erinnert an den Start in einem Jumbo-Jet. Erste Klasse, versteht sich.
Fast schon unheimlich ist es, wie der Sechs-Liter-Doppelturbo das Dickschiff antreibt und man nichts davon merkt. 250 km/h fühlen sich im Fond nach akzeptablem Reise-Tempo an. 100 so als ob man nebenher laufen könnte. Lediglich die an der Hinterachse verbaute Luftfederung macht sich hin und wieder bemerkbar. Denn der Federungs-Komfort dürfte in einer Chauffeur-Limousine, wie es die um 14 Zentimeter auf gut 5,20 Meter gestreckte Langversion des Top-7ers nun einmal ist, besser ausfallen. So bleiben selbst auf durchschnittlich guten Straßen die Insassen nie im Unklaren darüber, was gerade unter den 19-Zoll-Runflat-Reifen hindurch huscht.
Doch ein Fahrerauto
Ganz anders sieht die Sache jedoch aus Fahrer-Sicht aus. So soll der 760 Li neben seinen Chauffeur-Talenten gleichzeitig auch eine hyperagile Sportlimousine mimen. Und da wird schnell klar, warum die Fondgäste manchmal nicht ganz befriedigt werden – zumindest, was den Federungskomfort anbelangt. Der 2,2-Tonner bietet nämlich in der Tat die wahrscheinlich beste Balance aus Sport und Komfort, die man im Luxus-Segment bekommt.
Als Fahrer auf freier Bahn und sanften Kurven spürt man weder Gewicht, noch Größe. Handlich, klein und flink fühlt sich der 7er an, keine Spur von Lethargie. Dank der superdirekten, aufpreispflichtigen Allradlenkung und dem ultrastarken Motor vergisst man schnell, in welchem Auto man eigentlich unterwegs ist. Wuuuuup, schon stehen 100 auf dem Tacho (das waren 4,6 Sekunden). Wuuuup, schon ist Tempo 200 erreicht (keine Ahnung, wie lange das dauert). Und brrrrrrrrr, schon steht die Fuhre wieder. Gut 370-Millimeter-Bremsscheiben rundherum verzögern bei Bedarf brachial.
Noch handlicher und agiler wird der 7er nach dem Wechsel vom Comfort- in den Sport-Modus der adaptiven Dämpfer (vorne Stahlfedern, hinten Luft). Dann spricht der Motor noch einmal besser auf Fußbewegungen an, die Lenkung giert noch mehr nach Kurven und die Automatik schaltet noch radikaler, ohne dabei die Contenance zu verlieren. Allerdings drückt bei forcierter Gangart und engen Radien das Gewicht den BMW kräftig zum Kuvenaußenrand.
Weltneuheit
Dank Acht-Gang-Automatikgetriebe (erhält auch der kommende, kleine Rolls Royce) wechselt dieser BMW die Gänge schnell, komfortabel und unmerklich. Die in Zusammenarbeit mit ZF entwickelte Schaltbox orientiert sich mit Gewicht und Größe an der Sechs-Gang-Box des Vorgängers, kann aber aufgrund der zwei zusätzlichen Fahrstufen deutlich effizienter die Motorkraft beeinflussen und damit die Fahrleistungen steigern und den Spritverbrauch senken. Rund ein Liter kann laut BMW alleine das neue Getriebe einsparen.
Schon ab 80 km/h wird bei Konstantfahrt der achte Gang genutzt. Bei Top-Speed stehen nur 3.500 Touren auf dem Drehzahlmesser. Die Wandlerüberbrückung arbeitet ausschließlich im ersten Gang, darüber wird immer direkt geschaltet, so dass eine künstliche Drehzahlanhebung (die den Spritverbrauch erhöht) nicht mehr existiert. Bei den acht Gängen passt mindestens einer immer.
Hybrid noch 2009
Das neue Getriebe ist auch Grundvoraussetzung für eine angeblich noch 2009 folgende Hybridversion inklusive Stopp-Start-System des 7ers. Auf die werden bestimmt einige warten, denn sparsam ist der Top-BMW nicht. Auch wenn die Werksangaben mit zwölf Litern im Mix durchaus Enthaltsamkeit vorgaukeln. Dieser Wert ist nur möglich, wenn James das Gaspedal streichelt. Sollte seine Majestät das Steuer in die Hand nehmen, wird er kaum in diese Regionen vorstoßen. Mit 16 Litern ist er dann wohl noch recht verhalten unterwegs.
Aber das Thema Verbrauch interessiert Besitzer eines solchen High-End-Automobils nicht. Zumindest nicht aus finanzieller Sicht. Denn wer knapp 150.000 Euro für den BMW 760 Li ausgeben kann, hat andere Sorgen im Leben. Zum Glück muss er sich aber auch um die Ausstattung seines Spielzeugs (nichts anderes ist ein 760 Li) keine Gedanken machen, denn der Top-BMW ist zum Top-Preis auch top ausgestattet. Individualisieren kann man ihn noch immer immens, da sind kaum Grenzen (des Geschmacks) gesetzt.
Technische Daten
Marke und Modell | BMW 760 Li | |
---|---|---|
Ausstattungsvariante | ||
Abmessung und Gewicht | ||
Länge/Breite/Höhe (mm) | 5.212 / 1.902 / 1.484 | |
Radstand (mm) | 3.210 | |
Wendekreis (m) | 12,7 | |
Leergewicht (kg) | ab 2.175 | |
Kofferraum (Liter) | bis 500 | |
Bereifung Testwagen | VA: 245/45 R 19; HA 275/40 R19 | |
Motor | ||
Hubraum (ccm) / Zylinder (Zahl, Bauart) | 5.972 / 12, V | |
Leistung (PS) | 544 | |
Drehmoment (Nm) / Umdrehungen | 750 / 1.500 - 5.000 | |
Antriebsart | Heck | |
Getriebeart | 8-Gang-Automatik | |
Verbrauch | ||
Krafstoffart | Super Plus | |
Kombiniert laut Werk (l/100km) | 13 | |
CO2-Emissionen (g/km) | 303 | |
AS24-Verbrauch (l/100km) | k.A. | |
Fahrleistungen | ||
Werksangabe 0-100km/h (s) | 4,6 | |
AS24-Sprint 0-100km/h (s) | k.A. | |
AS24-Bremstest 100-0km/h (m) | k.A. | |
Höchstgeschwindigkeit (km/h) | 250 | |
Preise | ||
ab (Euro) | 144.800 | |
Empfohlene Extras | Allrad-Lenkung (1.950 Euro), Head-Up-Display (1.390 Euro), Digitalradio DAB ( 460 Euro), TV-Funktion (1.230 Euro), USB-Schnittstelle (300 Euro), | |
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Fazit
Der 760er ist völlig sinnfrei und total überflüssig, doch irgendwo faszinierend. Er ist derzeit das Luxus-Automobil par excellence. Allerdings ist der Zwölf-Zylinder rational nicht zu begründen. Denn ein 750Li macht subjektiv nichts schlechter, kostet ausstattungsbereinigt rund 30.000 Euro weniger und braucht 1,6 Liter weniger Sprit. Was dem Acht-Zylinder fehlt, ist das Prestige eines V12-Motors, weltweit noch immer das Status-Symbol im Automobil-Bau. 23 Prozent aller BMW-Zwölf-Zylinder gehen bislang in die USA, ebenso viele nach China und nur 15 Prozent bleiben in Deutschland.