Kinder, wie die Zeit vergeht! Wo sind nur die Jahre zwischen der Corvette C5, C6 und C7 geblieben? Mit der neuen C8 bringt Chevrolet im neuen Jahrtausend bereits die vierte „Vette“ auf den Markt und wer einst auf der IAA in Frankfurt noch unkte, dass man bei den Plastikbombern aus Kentucky per Zeigefinger die Heckschürze eindrücken konnte, der dürfte beim Anblick der neuen Stingray nicht schlecht aus der Wäsche gucken.
Zwar hatte Chevrolet schon in den 1960er Jahren eine Mittelmotor-Corvette geplant, doch erst Ende 2019 wurde sie Wirklichkeit. Ihre optische Erscheinung? Ein Mix aus McLaren, Ferrari und… in der Tat einer Corvette. Unverkennbar haben die Amis der Flunder ihren eigenen Stempel aufgedrückt und wird die C8 erst einmal mehr zu sehen sein, wird auch der Nachwuchs am Straßenrand irgendwann aufhören, die Verbindung nach Maranello zu suchen.
Mit Preisen ab 86.900 Euro für die Basis-Stingray (das Cabriolet startet ab 93.400 Euro) stehen die Chancen auf jeden Fall gut, dass wir sie öfters zu Gesicht bekommen. Vorausgesetzt natürlich, Chevrolet bekommt die C8 in ausreichender Stückzahl über den Teich. In den USA selbst läuft das Geschäft mit dem „Low-Budget-Supercar“ nämlich so gut, dass sie im Werk Bowling Green kaum mit der Produktion hinterherkommen. Die sich zuspitzende Halbleiterkrise ist der Lieferzeit ebenfalls nicht zuträglich.
Aber wäre sie ihr Geld auch wert? Weg also von der grauen Theorie, rein in die rote Corvette. Zunächst fällt auf, dass beinahe alle Flächen im Innenraum mit Leder oder zumindest lederähnlichen Stoffen bezogen sind. Die zahlreichen Schalter machen optisch einiges her, haptisch entsprechen sie allerdings nicht ganz den Erwartungen. Auch die Sitzposition sorgt zunächst für Irritation, fühlte zumindest ich mich durch die massive Mittelkonsole stark beengt. Trotz einer Außenlänge von 4,63 Meter - die Platzverhältnisse für Fahrer und Beifahrer sind alles andere als üppig.
Ist das Targa-Dach verschlossen, so ist es für Großgewachsene auch nicht weit her mit der Kopffreiheit. Ein Audi R8 beispielsweise bietet hier wesentlich mehr Bewegungsspielraum. Obwohl es Chevrolet vermied alle Bedienfunktionen in ein Touchdisplay zu verfrachten – die Handhabung der zahlreichen Schalter, Knöpfe am Lenkrad und des Infotainment-Bildschirms ist im Vergleich zum Vorgänger deutlich komplexer geworden.
Eine Tatsache, die auch auf das Fahrverhalten zutrifft. Der im Hubraum bekannte, sonst aber gänzlich neuentwickelte 6,2-Liter-V8-Saugmotor sitzt nun hinter dem Fahrer und damit in der Mitte des Fahrzeugs (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 12,1 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 277 g/km²). 482 PS und 613 Newtonmeter sorgen in allen Lebenslagen für vollen Schub, wobei der Small Block die Leistung sehr direkt, sehr linear an die Hinterräder abgibt. Dazu gibt es einen hämmernden, nie aufdringlichen V8-Sound, der die gute alte Zeit zelebriert und auch um freches Schubblubbern nicht verlegen ist. Wird die Straße im weiteren Verlauf allerdings kurviger und ein wenig feucht, so erfährst du im wahrsten Sinne die neue Lebendigkeit der Stingray.
War die C7 in ihrer fahrdynamischen Ausprägung noch die vorhersehbare Heckschleuder, so tänzelt die 1.665 Kilogramm schwere C8 nervös um die Hochachse und entpuppt sich als teils unbändiger Stachelrochen, der dann sticht, wenn man es am wenigsten erwartet. Dem sicheren Fahrgefühl entgegen stehen (vor allem bei Nässe) zudem Fahrstabilitätsprogramme die erst spät, dann aber sehr ruppig zugreifen. Absicherungs-Philosophie hin oder her – das können sie bei Porsche halt einfach besser. Besser dahingehend, dass du dich auch als ungeübter Lenker hinterm Steuer sicherer fühlst und schnell ein gewisses Vertrauen zum Fahrzeug aufbaust.
Also doch lieber den schwäbischen Sportwagen kaufen? So einfach ist die Sache nicht. Denn die Corvette beherrscht etwas, das sie in Zuffenhausen, Woking und Maranello gerne vernachlässigen. Sie beherrscht dank des optionalen Magnetic-Ride-Fahrwerks die lange Reise, geht als preisbewusster Supercruiser durch und schluckt schlechte Asphaltpisten mit viel amerikanischem Gleichmut. Das ist schon großes Kino und gefällt geschundenen Rücken und leiderprobten Beifahrern.
Am neuen 8-Gang-Doppelkuppler von Tremec (Goodbye Hydramatic!) sowie den ungelochten, aber dank serienmäßigem Z51-Performancepaket größeren Stahlbremsen gibt es ebenfalls kaum etwas zu meckern und selbst die Lenkung verfügt über eine ausreichend direkte Auslegung. Aber ist die Corvette C8 der Sportwagen, den sich Fans amerikanischer Boliden wirklich erhofft haben?
Die C7 war unterm Strich einfacher. Sowohl in der Technik als auch im Handling. Mit ihr konntest du angenehm cruisen, aber auch äußerst flott unterwegs sein. Letzteres erfordert bei der neuen Stingray jetzt wesentlich mehr Konzentration. Zwei Gemeinsamkeiten sind allerdings geblieben: Der 6,2-Liter-Achtzylinder ist weiterhin eine Wucht und wer es gemächlich angehen lässt, wird die C8 auf der Langstrecke mit rund 10 Liter auf 100 Kilometer bewegen können. Wer hingegen die 482 Pferdestärken in aller Vehemenz abfordert, dürfte am Ende des Tages mit einem Schnitt um 16 Liter Super Plus in die heimische Garage zurückkehren.
Das positive vorweg: Der Stachel der Stingray sticht wieder, wenn auch anders als von vielen Fans vielleicht erhofft. Geblieben ist der sagenhaft am Gas hängende und unverfälscht klingende 6,2-Liter-V8-Sauger, der nun hinter dem Fahrer sitzt und aus der Corvette erstmals einen Mittelmotor-Sportwagen macht. Das Debüt birgt viel fahrdynamisches Potenzial, ist zugleich aber nicht mehr der lässige Kumpeltyp, sondern ein ernstzunehmender Profiathlet, der vor allem bei Nässe deine volle Konzentration fordert. Was die Fahrzeugabsicherung sowie die fahrdynamische Feinabstimmung angeht, so bleibt weiterhin ein deutlicher Abstand zu Porsche spürbar. (Text: Thomas Vogelhuber | Bilder: Hersteller)