Und ja, wir wissen es: Werden die Worte "klassisches Design" in einem Atemzug mit dem XJ X350 genannt, würden Liebhaber alter Jaguar am liebsten wie Boris Johnson den Karren gegen die Wand fahren. Es soll dies, "by the way", die einzige Analogie zur Politik gewesen sein. Doch wir verstehen die Kritiker. Für die war der 2003 vorgestellte X350 ein Affront. Aufgedunsen, hoch, dicklippig und insgesamt viel zu groß war er im Vergleich zum zierlicheren Vorgänger X308 geraten.
Come on, it's a Jag!
Mittlerweile wollen wir gnädig sein. Neben seinen Nachfolger gestellt, zelebriert auch der X350 die alte Jaguar-Formensprache. Mit mehr als fünf Metern läuft die Länge. Die flache Raumkanzel mit kleinen, steil stehenden Scheiben und das sich verjüngende Heck zitiert mit mittlerweile gekonnt wirkendem Retro-Chic die großen britischen Limousinen einer vollkommen vergangenen Zeit. Im Innern scheint diese stehen geblieben: Großflächige Holzvertäfelungen, ein matter Touchscreen, drei Rundinstrumente, Ford-Armaturen. Aber: Gemütlich. Und dank mehr Höhe und etwas mehr Radstand auch für Großgewachsene deutlich angenehmer als die Eltern und Großeltern des X350. Sogar mit Schiebedach.
Diesel, V6 oder doch acht Zylinder mit Kompressor?
Wer sich ein wenig mit dem Gebrauchtwagenmarkt beschäftigt, weil er den ersten Schritt zum "Habenwollen" bereits gegangen ist, der wird schnell feststellen, dass er sich nun über eine geeignete Motorisierung Gedanken machen muss. Wie auch die damalige Konkurrenz bot Jaguar den XJ nämlich über die gesamte Laufzeit mit einer Vielzahl an Motorenwerken an. Es dürfte schon damals für jeden etwas dabei gewesen sein: Wer es gemütlich angehen lassen konnte, wählte mit hoher Wahrscheinlichkeit den drei Liter großen V6 mit 238 PS. Kaum zügiger aber umso kultivierter ging der relativ selten georderte 3.5 V8 mit 258 PS zu Werke. Die Motorisierung für die breite Masse stellte der 4.2 V8 als Saugmotor mit 298 PS dar. Ein idealer Kompromiss aus Laufkultur, spritzigem Durchzug und angemessenem Verbrauch, während die 396 britischen Pferde aus dem Kompressor-V8 in XJR und Daimler Super Eight nur etwas für denjenigen waren, der unbedingt einen neuen Streckenrekord auf dem Weg von London nach Paris aufstellen wollte. Der 2,7 Liter große V6-Diesel nimmt darüber hinaus eine Sonderrolle ein. Damals als erster Dieselmotor im XJ überhaupt verpönt, wird er heutzutage von immer schärferen Emissionsgrenzen und Luftreinhaltemaßnahmen der Innenstädte bedroht.
Dabei war der Selbstzünder wie auch sämtliche Benzinmotoren kein schlechter Motor. Sie alle haben mit der leichten Karosserie aus Aluminium leichtes Spiel und harmonieren perfekt mit der alternativlosen Sechsgang-Automatik aus dem Hause ZF. Und selbst der leistungsstarke Kompressor-V8 gibt sich im Alter wenig Blöße und ist sogar nach heutigen Maßstäben ein ideales Autobahnauto. Mit niedriger Drehzahl und sattem Durchzug lässt er sich auch von aktuellen TDI-Modellen nicht beeindrucken, begeistert den Sportfahrer vielmehr mit martialischem Kompressor-Geheul und einer strafferen Fahrwerksabstimmung. Der Verbrauch des gut 1,8 Tonnen schweren XJR bleibt dabei bemerkenswert niedrig: Werte von etwa 11 Litern auf 100 Kilometer sind kein Problem. Doch auch wer sich für eine der "kleineren" Motorisierungen entscheidet, dürfte keinen Anlass zur Klage haben. Er muss lediglich vorher wissen, was er möchte.
Rost ist nicht mehr der Todfeind Nummer eins
Und auf was er sich einlässt. Denn so robust Antriebsstrang und Karosserie im Gegensatz zu so manchen Vorgängern des X350 sind, so kann sich bei fortgeschrittenem Alter der Katze gerne das ein oder andere Wehwehchen einschleichen. Allem voran: Die Elektronik. Mit einer Vielzahl von Sensoren ausgerüstet, scheint die Steuerung sämtlicher Komfort- und notwendiger Verbraucher von Fehlermeldungen desöfteren überfordert zu werden. Dann blinkt im hölzernen Instrumentenbrett eine Armada von Warnleuchten auf, obwohl vielleicht nur ein Sensor fehlerhafte Werte meldete und im Grunde alles in Ordnung ist. Zeigt der ausgesuchte Proband derartige Meldungen, seien Sie wenigstens auf der Hut: Die Fehlersuche ist langwierig, kostspielig und manchmal erfolglos. Damit zu leben, meist die stressfreiere Variante.
Stressig kann es dafür werden, wenn das von Thyssen-Krupp beigesteuerte Luftfahrwerk an seine Altersgrenze kommt. Ein serienmäßiges Keilfahrwerk, oben genannte Fehlermeldungen oder bockiges Federungsverhalten können dann an der Tagesordnung und überdies TÜV-relevant sein. Stellen Sie sich auf Ersatzteilpreise im deutlich vierstelligen Bereich ein - oder suchen Sie im Netz nach günstigeren Alternativen. Dagegen sind leichte Unterwanderungen der Lackierung der Karosserieteile als absolut geringfügig abzustempeln. Die Karosserie und der Innenraum zeigen sich wie der Antrieb robust und sind auch bei hoher Laufleistung meistens noch sehr gut anzusehen. Dies gilt rein optisch nicht für das Facelift, das mit schwulstigen Stoßfängern vorne und hinten dem ohnehin schon gewachsenen XJ nicht unbedingt gut tat. Die Diskussion darüber soll jedoch Geschmacksache bleiben. Mit dem Facelift kamen jedoch auch noch gefälligere Farbkombinationen auf den Markt, ferner dürfte das oben genannte Elektronikthema wohl weniger auf die von 2007 bis 2009 gebauten Modelle zutreffen.
Fazit
Die wohl letzte klassische Katze ist vom Aussterben bedroht. Eine relativ geringe Stückzahl, die Nutzung als Auto für den Vielfahrer und nicht zuletzt üppige Unterhaltskosten machen den Markt immer kleiner. Doch der XJ der Baureihe X350 darf zurecht als ausgereiftester Jaguar mit klassischem Design gelten. Seine Alukarosserie macht ihn fit für alle Jahreszeiten, die Antriebe sind selbst heute State Of The Art und sein Auftritt immer noch sehr gentleman-like. Seine Problemchen können geldraubend und nervtötend sein. Sie sind aber verzeihbar. Wenn Sie sich entschieden haben, dann schlagen Sie auch zu. Günstiger dürften sie wohl kaum werden. (Text und Bild: Maximilian Planker)
Technische Daten*
- Modell: Jaguar XJR
- Antrieb: Achtzylinder-Kompressormotor, 4.196 ccm
- Leistung: 396 PS (291 kW) bei 6.100 U/min
- Drehmoment: 541 Nm bei 3.500 U/min
- Antrieb: Hinterradantrieb, 6-Gang-Automatik
- Beschleunigung (0 – 100 km/h): 5,3 s
- Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h
- Abmessungen (L/B/H): 5,09 m/1,90 m/1,45 m
- Gewicht ca: 1.710 kg
- Grundpreis (2003): ca. 91.500 Euro
*Herstellerangaben