Wenn wir zunächst schreiben, dass der Land Rover Defender in jeder Hinsicht größer geworden ist, dann erzählen wir gemeinhin nichts Neues. Speziell auf die Bedürfnisse der US-Kunden zugeschnitten, die mit der zweiten Generation erstmals offiziell in den Genuss eines Defenders kommen, musste die Fangemeinde des kernigen Offroaders im guten alten Europa kräftig zurückstecken. Gleichzeitig bedeutet der Verzicht auf die einst schrulligen Eigenheiten des „Ur-Landys“, dass sich Land Rover eine ganz neue und vor allem breitere Zielgruppe erschließen kann.
Der Land Rover Defender des 21. Jahrhunderts will sich vor allem gegen die noble G-Klasse positionieren, wobei der bei Magna gebaute Mercedes dabei ist, in einigen Bereichen die Oberhand zu verlieren. So gibt es, mit Ausnahme einzelner, homöopathisch aufgelegter Sonderserien, keinen echten Offroad-G mehr zu kaufen. Die Preise steigen gleichzeitig in astronomische Höhen und die Verfügbarkeit des Kastenwagens aus Graz ist eine einzige Katastrophe.
Auch auf einen neuen Defender wartet man aktuell länger (wie lange genau, wollte Land Rover auf Nachfrage nicht verraten), doch mit Preisen ab 54.000 Euro für den kurzen 90er und ab 56.900 Euro für die 110er-Variante startet dieser bei ziemlich genau der Hälfte des Daimlers. Der hier gefahrene Defender 110 D300 SE beginnt indes ab 79.100 Euro (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 8,9 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 233 g/km)².
Vergleicht man nicht eigentlich eine G-Klasse mit dem altehrwürdigen Range Rover? Kann man, aber der kommt neu erst in ein paar Wochen zum Händler und überhaupt kommen wir damit zum Kern der Sache: Der neue Land Rover Defender ist viel mehr geworden als ein Feld-und-Wiesen-Traktor aus Anno dazumal. Vor allem mit dem (inklusive Ersatzrad) 5,02 Meter langen 110er, der mittlerweile einen beachtlichen Radstand von 3,02 Meter aufweist, wirst du primär nicht die entlegenen Zipfel dieser Welt erkunden.
Mit ihm fährst du entspannt in den Urlaub, ziehst bis zu 3,5 Tonnen schwere Hänger oder erfreust dich schlichtweg an den deutlich gewachsenen Innenraumabmessungen. Wenngleich medial gerne Gegenwind zum automobilen Größenwahn berichtet wird – die weltweiten Zulassungszahlen sprechen eine andere Wahrheit.
Es ist die Kombination aus einem seidig laufenden 300 PS-Mild-Hybrid-Diesel (Testverbrauch: circa 9,0 Liter auf 100 Kilometer), einer verschliffen schaltenden 8-Gang-Automatik sowie der erstmals verfügbaren Luftfederung, die aus dem Land Rover Defender einen ziemlich guten Reisewagen macht. Samt adaptiver Dämpferregelung (Paket- und Ausstattungsabhängig) ist der Allradler nicht einmal verlegen Alpenstraßen vom Schlage eines Malojapasses zu bezwingen.
Auf der Autobahn dagegen zieht der bullige Reihensechser mit drei Liter Hubraum und 650 Newtonmeter Drehmoment ab 1.500 Umdrehungen kräftig nach vorne und katapultiert den Landy auf eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 209 Stundenkilometer (191 km/h mit 22 Zoll Rädern). Ein Wert von null auf 100 km/h von 7,0 Sekunden unterstreicht ebenfalls den neuen fahrdynamischen Anspruch, der zumindest auf dem Niveau eines Discovery liegt.
Dass es der Lenkung dabei etwas an gefühliger Zielgenauigkeit fehlt und man im Straßenmodus nicht das früh eingreifende ESP deaktivieren kann, sei dem Defender verziehen. Schließlich braucht auch ein Range Rover Sport noch seine Daseinsberechtigung. Auf wahrlich hohem Niveau geht es derweil im Innenraum weiter. Ist die Luftfederung nämlich auf die maximale Bodenfreiheit von 291 Millimeter eingestellt, bedarf es akrobatischer Fähigkeiten, um in das Cockpit zu gelangen.
Dort thront man förmlich über dem Rest des Straßenverkehrs. Die Inneneinrichtung an sich darf als rustikal bezeichnet werden. Das zerklüftete Armaturenbrett bietet viele Ablagemöglichkeiten, ebenso wie die gigantisch anmutende Mittelkonsole, die optional durch einen umklappbaren „Jumpseat“ ersetzt werden kann. Feinnarbiges Leder, Stoff und eine Art Neopren wechseln sich mit Inbusschrauben und allerhand Plastikflächen ab. Es entsteht ein bisweilen unruhiger Eindruck, an den man sich gewöhnt – oder eben nicht.
Die Verarbeitung lässt dagegen wenig Raum für Kritik, nur ein nicht identifizierbares Klappern aus dem 972 Liter fassenden Kofferraum gab bis zuletzt Rätsel auf. Platz ist dagegen in Hülle und Fülle vorhanden, Hinterbänkler könnten sich allerdings an den wenig weit zu öffnenden Türen stören. Isofix gibt es als Serienausstattung nicht nur für die beiden äußeren Fondsitze, sondern auch für den Beifahrersitz. Das Gestühl als solches hat sich als sehr langstreckentauglich bewiesen, wobei etwas mehr Beinauflage wünschenswert gewesen wäre. Ein paar Wünsche hätten wir derweil auch an das Bedien- beziehungsweise Infotainment-System.
Eingaben über die Lenkradklaviatur sowie über den 10 Zoll Bildschirm werden nur unzureichend schnell umgesetzt, die Menüführung ist teils wenig selbsterklärend und die Navigation sucht sich mitunter kuriose Routen aus. Unverständlich ist auch, weshalb Land Rover mittlerweile dazu übergeht, das Terrain Response-System in der Klimabedienung zu verstecken. Klar, so wirkt die Mittelkonsole aufgeräumter. Allerdings möchte ich in einem echten Offroader wie dem Defender möglichst direkt eine Sperre einlegen beziehungsweise ein entsprechendes Fahrprogramm wählen, und mich nicht erst durch ein träges Bildschirmmenü kämpfen.
Zum Schluss biegen wir vom Asphalt noch kurz ins unbefestigte Gelände ab. Böschungswinkel vorne von bis zu 38 Grad und hinten von bis zu 40 Grad sowie ein Rampenwinkel von bis zu 28 Grad verraten schon auf dem Papier, dass der Defender das Geländefahren nicht verlernt hat. Maximal 45 Grad steile Auffahrten kann der Engländer bezwingen, wobei die Warttiefe ohne Zubehör bei maximal 90 Zentimeter liegt – beim Durchfahren hilft Sonar in Form von Wade Sensing.
Zum Serienumfang zählt zudem ein zweistufiges Verteilergetriebe samt sperrbarem Mittendifferenzial, optional wird eine elektronische Sperre an der Hinterachse angeboten. Auch das Terrain Response-System mit seinen zahlreichen Fahrprogrammen hilft dabei, dass der Defender Matsch- und Geröllpisten mit viel Gleichmut durchpflügt. Letzteres ist nicht übertrieben, denn dank seiner 2,6 Tonnen gräbt er sich mehr durchs Gelände, als dass er es überfährt.
Die Legende lebt! Und für viele lässt es sich mit dem neuen Land Rover Defender jetzt sogar deutlich besser leben. Gute Sitze, die ausgewogene Luftfederung sowie der starke Reihensechszylinder-Diesel machen den Engländer zum feudalen Reisewagen für die ganze Familie. Trotz der Straßentauglichkeit: Land Rover hat die Offroad-Qualitäten des Defender nicht aus den Augen verloren. Schade ist dagegen, dass das Infotainment-System kein Zugewinn darstellt und man hierüber auch die Geländeprogramme bedienen muss. Mit 2,6 Tonnen Leergewicht ist der Defender derweil so schwer wie der noch aktuelle Range Rover samt langem Radstand. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)