Winter in Deutschland. Die Tage sind kurz, mancherorts schneit es sogar und beim Thema Auto sind alle Weichen auf Veränderung gestellt. Warum ich diese Dinge erwähne? Weil Daimler genau jetzt verkündet hat, voraussichtlich ab Mitte des Jahrzehnts die Produktion von herkömmlichen Motoren im großen Stil auszulagern. Verbrenner sollen dann primär beim Kooperationspartner (und Anteilseigner) Geely in China gefertigt werden.
Bis es soweit ist dürfen die vorhandenen Antriebe aber noch gefeiert werden. Allen voran die großen Kaliber sollten ein letztes Mal unsere ganze Aufmerksamkeit erhalten. Zum einen, weil sie wahre Hightech-Produkte sind und zum anderen, weil ihre Zukunft eine ungewisse ist. Achtzylinder M 176, gebaut in Stuttgart-Untertürkheim, ist ein solcher Sahnemotor, der verbaut im Mercedes-Benz GLS 580 sicherlich nicht nur Gegenliebe auslöst (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 10,7 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 246 g/km²).
Doch möchte ich direkt jenen ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen, die hier einmal mehr ein spritvernichtendes Monster vermuten. Ja, auch der GLS 580 kann sich ordentlich Kraftstoff hinter die Binde kippen. 15 Liter auf 100 Kilometer sind im angenehm flotten Drittelmix die Regel. Allerdings, und hier wird es interessant, lässt sich dieser große Reisewagen mit bis zu sieben Sitzplätzen auch mit weniger als zehn Liter auf 100 Kilometer bewegen. Zylinderabschaltung, ein ausgeklügeltes 48-Volt-Mild-Hybrid-System nebst integriertem Startergenerator und nicht zuletzt viel Ingenieurskunst machen solche Werte möglich.
Nun darf angenommen werden, dass es für jemanden, der mindestens 108.000 Euro in einen Mercedes Geländewagen (oder zumindest in dessen monatliche Leasingrate) investiert, zweitrangig ist, wie es um die Verbrauchswerte bestellt ist. Aber wie heißt es so schön: Man könnte, wenn man nur wollte. Beim Nachtanken des 90 Liter Kraftstofftanks dürfte die Kundschaft aber zumindest mit Wohlwollen feststellen, dass die Stuttgarter beim GLS 580 nur Superbenzin der Sorte E5 voraussetzen.
Unterdessen läuft das 2,6 Tonnen Schiff im US-amerikanischen Mercedes-Werk in Tuscaloosa, Alabama vom Band – was man an der einen oder anderen Stelle auch sieht. Unter der Motorhaube zum Beispiel, wo manch scharfkantige Schweißnaht etwas arg lieblos wirkt. Eine schmuklose Plastikabdeckung verdeckt derweil das 360 kW/489 PS und 700 Newtonmeter starke Biturbo-Kraftwerk. Es hämmert im Regelfall leise vor sich hin und wird situationsabhängig durch den 16 kW/22 PS sowie 250 Newtonmeter starken Startergenerator zusätzlich „geboostet“.
Empfehlen sich deutsche Achtzylinder, durch ihren seidigen Lauf, gerne als krasses Gegenteil zum blubbernden Ami-V8, wollte Mercedes mit der Option auf einen „sportlichen Motorsound“ offenbar einen Mittelweg zwischen alter und neuer Welt einschlagen. Mit mäßigem Erfolg. Der GLS 580 zeigt glücklicherweise nirgends ein AMG-Logo, besitzt keine Sportabgasanlage und hat es daher eigentlich nicht nötig mit künstlich generierter Akustikpotenz aufzutrumpfen. Immerhin lässt sich der brummige Fakesound auf Wunsch deaktivieren.
Spätestens beim Durchforsten der Fahrdynamikprogramme wird dem technikbegeisterten Mercedes-Käufer, sofern er dafür bereit war Geld auszugeben, die Fahrwerksoption „Curve“ ins Auge fallen. Die Bezeichnung hat in der Tat etwas mit Kurven zu tun und betitelt einen Teil des E-Active Body Control Fahrwerks, welches die serienmäßige Airmatic-Luftfederung erweitert.
Eine Kamera auf Höhe des Innenspiegels scannt die vorausliegende Fahrbahn und kann innerhalb von Sekundenbruchteilen die Fahrwerkskomponenten auf die Straßenbeschaffenheit einstellen. Der GLS ist in der Lage sich quasi in Kurven "hineinzulegen" - ähnlich wie das auch Motorradfahrer machen. Im Gelände sorgt die Technik, die alle Räder einzeln ansteuern kann, dafür, dass der hohe Aufbau nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Ein Freifahrmodus kann das SUV aus festgefahrenen Situationen wieder "freischaukeln".
Ohne tiefgreifendes Technikstudium ist zu vermerken, dass der Mercedes-Benz GLS 580 meist wie ein fliegender Teppich über selbst grobe Verwerfungen gleitet. Was allerdings den Nachteil mit sich bringt, dass ein sehr abgekoppeltes Fahrgefühl entstehen kann. Dem entgegen wirkt die elektrische Lenkung, die über eine ordentliche aber betont komfortorientierte Rückmeldung verfügt.
Insgesamt beachtlich ist, wie sich der Sechssitzer gemütserhellend über Bergpässe treiben lässt. Falls es sein muss gelingt der Standardsprint von null auf 100 km/h übrigens in rasanten 5,3 Sekunden. Hier nimmt sich der stets allradgetriebene und mit einer 9-Gang-Automatik ausgerüstete GLS kaum etwas zum ebenso dynamischen BMW X7, der gleichzeitig sein schärfster Konkurrent ist.
Auch in Bezug auf den Innenraum hat man BMW wohl im Blick gehabt, kommt aber nicht ganz an die feinsinnige Verarbeitung (über alle drei Sitzreihen hinweg) des ebenfalls in den USA gebauten Münchners heran. Das im Testwagen verbaute grob genarbte Leder (kann ersetzt werden durch Nappa-Bezüge) und die aufgesetzte Display-Landschaft bleiben am Ende eine Geschmacksfrage.
Die Platzverhältnisse vorne wie hinten sind einem 5,21 Meter langen Auto dagegen mehr als angemessen, die optionale dritte Sitzreihe eignet sich aber vor allem für den Nachwuchs. Die wählbaren Einzelsitze in Reihe zwei sind analog des Fahrer- und Beifahrergestühls sehr bequem und lassen sich weitreichend elektrisch verstellen sowie auf Wunsch heizen und kühlen.
Für all jene die häufiger die maximal 2.400 Liter Stauraum des Mercedes GLS nutzen wollen, ist die serienmäßige Siebensitzigkeit aber die bessere Wahl. Sie ermöglicht es eine ebene (und in der Breite durchgehende) Ladefläche bis hinter die Vordersitze zu schaffen, die bei der Komfortbestuhlung fehlt. Sind alle Sitzmöglichkeiten herausgeklappt sinkt das Kofferraumvolumen des GLS auf 355 Liter. An den elektrisch ausfahrbaren Haken nehmen kann das SUV derweil bis zu 3.500 Kilogramm.
In Sachen Infotainment nutzt auch der GLS das aktuelle MBUX-Interface, das zwei aneinandergereihte und hochaufgelöste 12,3 Zoll Displays nutzt. Sie bieten viele Informationen, die man als Lenker oder Lenkerin erst einmal verarbeiten muss. Die Bedienung bedarf Eingewöhnungszeit und nicht alles an der Benutzeroberfläche ist logisch gestaltet. Überzeugen können allerdings die weitreichenden Individualisierungsmöglichkeiten sowie die Spracheingabe. Gut funktionierende Assistenzsysteme sowie umfangreiche Connect-Dienste runden das digitale Angebot im größten aller Mercedes-SUVs ab.
Zum Preis zweier gut ausgestatteter Mercedes V-Klassen gibt es mit dem GLS 580 4MATIC ein luxuriöses Raumwunder zu kaufen, dessen Akzeptanz sehr vom Einsatzort abhängig ist. Bis zu sieben Personen können gemütlich Platz finden, die Fahrleistungen des Mild-Hybrid-V8 überzeugen auf ganzer Linie. Wer will, fährt den Geländewagen auf der Autobahn dennoch mit unter 10 Liter Superbenzin auf 100 Kilometer. Die bemerkenswerte Fahrwerkstechnik will nicht nur auf der Straße, sondern auch Offroad eine gute Figur machen. Dass man sich mit dem GLS dort hinbegibt ist aber in etwa so unwahrscheinlich, als ob man mit einem feinen Zwirn beim Schlammcatchen antritt. Die MBUX-Bedienung darf an Qualität noch zulegen, nicht alle Innenraummaterialien wirken dem hohen Preisgebaren angemessen. Insgesamt ist mehr Liebe zum Detail gefragt. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)