Vorder- und Hinterachse sind komplett gegeneinander verschränkt, das rechte Vorderrad hängt in der Luft. Am gegenüberliegenden Ende hat das linke Hinterrad kaum noch Bodenkontakt. Und das alles nur, weil Vorführfahrer Bäuerle natürlich nicht gerade aus dem Wasserbecken fahren konnte, sondern unbedingt rechts über die steile Betonkuppe wollte. Sieht aus wie eine sehr anstrengende Pilates-Position. Dass man auch dort durchkommt, wo man denkt, es ginge nicht, das mag Bäuerle besonders am Unimog, sagt er später. Er muss es wissen, fährt der Mercedes-Mann doch seit 20 Jahren Rallye, bei der Paris-Dakar war er dabei, unter anderem in dem Gelände-Lkw. Auf dem Testgelände im baden-württembergischen Ötigheim nahe Rastatt gibt es natürlich keine Situation, in der der hochgeländegängige Unimog, den es seit mehr als 60 Jahren gibt und dessen neuste Generation (U 5023) nun auf dem Markt ist, nicht durchkommt, so viel sei schon einmal vorweggenommen.
Wenn ein normaler Lkw der Lastesel unter den Fahrzeugen ist, dann ist der Unimog – sein voller Name lautet Universal-Motorgerät - der Bernhardiner: Treu ergeben, kraftvoll, robust, geländegängig und gezüchtet als Retter in der Not.
Mitten im brennenden Pinienwald in Frankreich, wo kein normales Feuerwehr-Tanklöschfahrzeug auf dem Waldboden mehr vorankommt, dringt der Unimog mit Tankaufbau und Spritze auf dem Dach weiter gegen die Flammen vor – nach ihm hat nur noch das Flugzeug eine Chance. Dafür ist er ab Werk mit Hitzeschutz-Ummantelungen für Kabel und Leitungen zu bekommen.
Beim Hochwasser in Mexico holt der Unimog dank seiner Wattiefe von 1,20 Metern – bis dahin darf die Flut reichen, ohne, dass die Aggregate Wasser ziehen - Menschen aus überfluteten Dörfern, die sonst nur noch per Boot erreichbar gewesen wären. Geländewagen haben meist zwischen 40 und 70 Zentimeter Wattiefe. Nato-Soldaten verlassen sich genauso auf den kleinen Lkw, der in Wörth am Rhein vom Band läuft, wie der Straßendienst im verschneiten Allgäu oder Weltenbummler im Himalaya. 2.500 Stück produziert Mercedes jedes Jahr, 80 Prozent für den zivilen Einsatz, 20 Prozent fürs Militär.
Versperren Erdbebenkrater den Weg, ist der felsige Untergrund besonders uneben oder muss querfeldein ein Hindernis – wie eine steile Betonkuppe nach einem Wassergraben– überwunden werden, kann der Unimog seine Verwindungsfähigkeit ausspielen. Wenn der Lkw in der Pilates-Position verharrt, hält ein besonders robuster, geschweißter Rahmen den Kräften stand, Schraubenfedern und Achsaufhängung mit Schubrohr lassen zu, dass sich die Achsen bis zu 30 Grad verschränken. Die Technik, bei der die Achsen mit Schubrohr und Schubkugel am Getriebe angebunden sind, sorgt auch dafür, dass der Antriebsstrang abgeschirmt ist gegen Matsch und Staub im Gelände.
Allradantrieb und drei Sperren (Mitte, vorne, hinten) sorgen mit starrem Durchtrieb auf alle vier Räder dafür, dass Vorführfahrer Bäuerle den Lkw mit bis zu 14,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht souverän vorwärts über die Kuppe fährt, auch wenn zwischenzeitlich nicht alle Räder Traktion haben. Und wer dabei denkt, gleich knackt’s, der hat recht: Die Schraubenfedern sind nur am oberen Ende mit dem Fahrzeug verbunden, an der Achse sind sie lose gelagert und können sich hin und her schieben – was die vorne rechts zum Beispiel geräuschvoll tut, wenn das rechte Vorderrad den Boden wieder berührt.
Aber genug der Demonstration: Hinter dem Steuer des Kurzhaubers Platz genommen, fällt auf den ersten Blick die hochwertigere Einrichtung im Vergleich zum Vorgänger auf. Die Crew hat nun auch mehr Platz auf drei Einzelsitzen, unter anderem weil der nun Euro-6-fähige 5,1-Liter-Vierzylinder-Diesel (230 PS) um rund einen Meter nach hinten verlegt wurde.
Geschaltet wird nun am Lenkstockhebel, acht Vorwärts- und sechs Rückwärtsgänge sind Serie. Am Berg übertragen die kleinen Gänge die Antriebskraft von bärenstarken 900 Newtonmeter Drehmoment schon kraftvoll und überlegen. Mit der optionalen Geländegruppe macht der Unimog sich unwegsame Hänge und zähen Schlamm endgültig untertan. Zwischen 2,5 km/h und 35 km/h langsam wühlt sich das Arbeitstier entspannt durch.
U5 eingelegt – also den fünften Gang der Untersetzung, die im Display mit einem Esel-Symbol angezeigt wird –, Sperren rein, den Motor auf 1.500 U/min drehen lassen und der Unimog nimmt die geriffelte Betonsteigung von 70 Prozent trotz leichten Nieselregens souverän. Weil das komplette Drehmoment bereits ab 1.200 Touren anliegt, kann man sogar etwas Gas wegnehmen. Steigungen bis 100 Prozent (45 Grad) sind unproblematisch, ein kurzes Stück schafft der Unimog auch 110 Prozent. Zum Runterfahren – zum Glück hält der Gurt die Passagiere in Position - nutzt der Geländefahrer ebenfalls den fünften Gang, unterstützend greift die zweistufige Motorbremse.
Natürlich hat der Kraxler noch ein paar andere Offraod-Feinheiten, von denen die meisten Pkw-Geländewagen nur träumen können: So genannte Portalachsen zum Beispiel, also Achsen, die nicht in der Mitte des Rades liegen, für mehr Bodenfreiheit. Zum selben Zweck sind die Differenziale – meist der tiefste Punkt unter dem Auto - nicht wie üblich in der Achsmitte, sondern versetzt. Und aus dem Cockpit kann man den Reifendruck für bessere Traktion regeln – um Fehlbedienung zu verhindern nun auch mit vorkonfigurierten Modi.
Mit maximal 90 km/h fährt der Gelände-Lkw nach getaner Arbeit auf der Straße wieder nach Hause. Für unter 100.000 Euro kann man sich den Unimog der neusten Generation in die eigene Garage stellen. Von dem Gedanken „das kann doch nicht gut gehen“ verabschiedet man sich übrigens bereits nach wenigen Minuten hinter dem Steuer. Weil man merkt: Das geht sogar richtig gut. (sp-x)