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Test Mercedes-AMG SL 63 4Matic: Sportwagen oder Gran Turismo?

Der Mercedes SL hat bei den Schwaben eine lange Tradition. Seit 2021 steht die siebte Generation bei den Händlern und verspricht, trotz ihres hohen Gewichts, sportlicher zu sein als ihre Vorgänger. Eine Testfahrt durch Kalifornien und Nevada zeigt die Stärken und Schwächen des Mercedes-AMG SL 63.

Der Mercedes-AMG SL 63 4Matic (R 323) auf einen Blick

  • Siebte Generation des Mercedes SL
  • 585 PS und 800 Nm Drehmoment
  • 0-100 km/h in 3,6 s; Vmax 316 km/h
  • Leergewicht 1.970 kg
  • Hightech-Fahrwerk und Hinterachslenkung
  • Grundpreis (Deutschland) ab 194.654,25 Euro

Mercedes-AMG SL 63 - Front-Seitenansicht

Der Basis-SL ist einer der teuersten Vierzylinder-Pkw der Welt

Da müssen wir wohl nichts beschönigen: Die Absatzzahlen des Mercedes-AMG SL sind überschaubar. In Deutschland wurden zwischen Januar und Juli 2024 gerade einmal 840 Fahrzeuge neu zugelassen. Zum Vergleich: Porsche verkaufte hierzulande im gleichen Zeitraum mehr als 7.300 Neunelfer, und sogar BMW konnte noch knapp 1.000 Kunden für die merklich alternde Achter-Reihe begeistern.

Ein kurzer Blick in den Konfigurator zeigt, woran es liegen könnte, dass sich der Mercedes SL auf dem Markt schwertut: Ein Vierzylinder im SL 43 für schlappe 127.145,55 Euro? Das sitzt. Downsizing in allen Ehren, aber der Motor aus einer A-Klasse in einem Oberklasse-Roadster ist aus Marketingsicht eher kontraproduktiv. Da können die Verantwortlichen auf der Mercedes-Webseite noch so sehr „Meistverkauft“ dazuschreiben – nur hat das eben wenig mit dem Besten zu tun, wie es die Sternenmarke gerne in ihrer Werbung proklamiert.

Mercedes-AMG SL 63 - Cockpit

Viel hilft viel – ein Hightech-Fahrwerk gegen das Gewicht

Ein Sechszylinder (und dabei hätten sie bei Mercedes den famosen M 256 im Programm) wird derzeit nicht gereicht und so übergehen wir an dieser Stelle den AMG SL 55, um uns direkt der eigentlichen Sehnsuchtsmotorisierung zu widmen: Dem 4,0-Liter-V8-Biturbo mit 585 PS, der unter der Bezeichnung Mercedes-AMG SL 63 4Matic aktuell das Nonplusultra im Stuttgarter Power-Roadster darstellt. Neuerdings gibt es zwar auch eine E-Performance-Variante – aber wer will schon mit einem (leer) 2,2 Tonnen schweren 2+2-Sitzer herumfahren, dessen Abkürzung eigentlich „Sport Leicht“ bedeutet.

Bereits der normale Mercedes-AMG SL 63 wiegt auf dem Papier mit knapp unter zwei Tonnen zu viel, wobei das Gewicht während unserer Testfahrten durch Kalifornien und Nevada kein bestimmendes Thema war. Wie so oft in unserer Zeit haben es besonders die Fahrwerksingenieure verstanden, das hohe Fahrzeuggewicht durch viel Hightech so weit es geht zu kaschieren. Mittels des serienmäßigen AMG Active Ride Control Fahrwerks (bei den Achtzylinder-Varianten) werden unliebsame Wankbewegungen hydraulisch ausgeglichen; gleichzeitig ermöglichen die adaptiven Dämpfer eine große Spreizung zwischen Komfort und Sport. Einzig Querfugen und kurze Bodenwellen überfährt der Benz für unseren Geschmack zu hölzern.

Mercedes-AMG SL 63 - Frontansicht

Der Mercedes-AMG SL 63 ist trotz seines Gewichts alles andere als schwerfällig

Dem kalifornischen Tioga-Pass auf bis zu 3.031 Höhenmetern folgend, kann der mittlerweile 4,71 Meter lange Bolide dann zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt ist. Ist er eher ein Nachfolger des luxuriösen S-Klasse Cabriolets oder doch die Weiterentwicklung des sportiven GT Roadsters? Neben dem hydraulischen Fahrwerk haben seine Erbauer dem SL für die Kurvenhatz noch weitere dynamikfördernde Hardware mitgegeben: Unter anderem eine neu konstruierte Raumlenker-Vorderachse, Hinterachslenkung und einen variablen 4Matic-Allradantrieb.

Schon in den ersten schnellen Kurven zeigt sich: Trotz seines Gewichts ist der Mercedes-AMG SL 63 alles andere als schwerfällig. Willig und präzise folgt der Vorderwagen den Lenkbefehlen, das Heck lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Will man auf sehr hohem Niveau jammern, könnte man einzig anführen, dass die Lenkung eines Porsche 911 noch eine Spur feiner und natürlicher abgestimmt ist.

Mercedes-AMG SL 63 - Motor

Der 585 PS starke 4,0-Liter-V8-Biturbo entschädigt für vieles – vor allem in den USA

Sehr natürlich ist hingegen das, was aus den vier Endrohrblenden (das hätte man für das Geld auch schöner machen können) tönt. Ohne Ottopartikelfilter darf der SL 63 in den USA noch ziemlich unverfälscht sprotzen, knallen und – pardon – einfach so richtig dreckig vor sich hin brabbeln. Da ist man als europäischer Petrolhead schon ein wenig neidisch auf die Amerikaner; andererseits ist es für die Anwohner der deutschen Großstadtalleen so wohl deutlich angenehmer. Dass der Biturbo-V8 mit seinen 585 PS und 800 Nm ab 2.500 U/min ziemlich gut im Futter steht, ist im Weiteren keine Überraschung.

In 3,6 Sekunden sprintet der Mercedes-AMG SL 63 4Matic von null auf 100 km/h, die Höchstgeschwindigkeit wird bei Tempo 316 erreicht. Egal in welcher Lebenslage – in den Staaten sowieso – du hast immerzu genügend Leistung zur Hand. Die Kraft wird derweil über ein verschliffen arbeitendes Neungang-Speedshift-Getriebe bedarfsgerecht an alle vier Räder verteilt. Traktionsprobleme kennt der SL 63 auf trockenen Straßen eher nicht. Einzige Variante mit Hinterradantrieb ist übrigens der zu Beginn geschmähte Vierzylinder.

Mercedes-AMG SL 63 - Seitenansicht

Testverbrauch zwischen 13 und 15 Liter auf 100 Kilometer

Während der neue G 63 AMG (W 465) bereits durch einen weiterentwickelten 4,0-Liter-V8 mit ISG und einem 48-Volt-Bordnetz angetrieben wird, kommt der Achtzylinder im SL 63 noch ohne Elektrifizierung aus. Auf den einsamen Straßen im Wilden Westen kamen wir mit diesem auf einen Testverbrauch zwischen 13 und 15 Litern je 100 Kilometer. In der heutigen Zeit sicherlich kein Gefährt für die grüne Parteispitze, aber in Relation zur Leistung auch nicht derart trinksüchtig, dass man sich sofort vor dem Wagen festkleben müsste. Bei teilweise 45 Grad im Schatten nahe Death Valley wäre das ohnehin wenig klug.

Mercedes-AMG SL 63 - Sitze

Das Beste oder nichts?

Bevor wir zum Fazit kommen, noch ein paar Worte zur Bedien- und Materialqualität des in Deutschland über 200.000 Euro teuren Testwagens. Die Sache mit den Türgriffen haben wir bis zuletzt nicht verstanden. Mal fahren sie aus, mal verwehrten sie uns den Zugang. Streicheln hilft, aber das wirkt nicht nur auf Außenstehende merkwürdig. Das Stoffverdeck muss umständlich über das zentrale Display (oder den Schlüssel) bedient werden – was war denn so schlecht an einem echten Schalter? Außerdem ist die Ablesbarkeit des hochgestellten Infotainment-Bildschirms bei offener Fahrt zur Mittagszeit eher bescheiden – den Winkel des Displays zu verstellen hilft da nur bedingt. Weiterhin nicht der Hit ist das mit Touchfeldern und Funktionen überfrachtete Lenkrad.

Zwar ist der reichlich belederte Innenraum insgesamt fein anzusehen (es muss ja nicht gleich knallrot sein), aber nicht alle eingesetzten Materialien können dem hohen Preisschild gerecht werden. Etwas verwundert waren wir zudem, aus welch dünnem Kunststoff der hintere Fahrzeugbereich gefertigt ist - er lässt sich ohne viel Kraft mit der Hand eindrücken. Vor einigen Jahren war so etwas noch disqualifizierend für eine Corvette C6, heute ist es offensichtlich der Standard bei Mercedes-Benz.

Mercedes-AMG SL 63 - Heckansicht

Fazit

Trotz seines Gewichts von knapp zwei Tonnen ist der Mercedes-AMG SL 63 4Matic alles andere als schwerfällig. Der 585 PS starke V8-Motor beeindruckt nicht nur durch seiner Leistung, sondern auch durch seinen kraftvollen Klang. Doch ist der SL nun ein waschechter Sportwagen? Jein. Eher ein sportiver Gran Turismo. Seine schiere Größe ist nicht wegzudiskutieren, ebenso wenig können wir die offensichtlichen Schwächen bei der Qualität und die teils umständliche Bedienung übersehen. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)

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