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Test: Mercedes S600 – Wenn aus Luxus Alltag wird

Wird ein Luxus-Testwagen wie der Mercedes S600 angeliefert, schwingt bei der Schlüsselübergabe immer etwas Feierliches mit. Da geht man gerne noch einmal mit in den Hof, um sich das Prachtstück näher anzusehen. Und ja, diese S-Klasse hat etwas.

Besonders als Langversion, in der der Zwölfzylinder ausschließlich angeboten wird.
Gestreckt und wohlproportioniert glänzt der Sechshunderter in der Sonne, das Silbermetallic hebt das Lichtspiel der von Kanten und Rundungen geprägten Karosserie hervor. Sehr elegant wirken das durchgängige Glasdach und die polierten 18-Zoll-Räder, mit denen die üppigen Radhäuser der S-Klasse adäquat ausgefüllt sind.

Ein Blick in den Testwagenbegleiter lässt einen erschaudern: Der Fahrzeugpreis inklusive aller Extras beträgt mehr als 160.000 Euro. Da nähert man sich durchaus mit Respekt. Aufsperren muss man nicht, das geht dank Keyless-Go vollautomatisch. Zusperren übrigens auch, hierfür reicht ein Fingertipp auf den Griff der geschlossenen Tür.

Detailverliebter Luxus

Der Innenraum: Jeder Quadratmillimeter ist mit feinstem Leder bezogen, dunkles Wurzelnussholz und feine Chromzierteile lockern das edle Ambiente auf. Das Armaturenbrett ist schlank gehalten, mit auffallend wenigen Knöpfen und einem großen Zentralbildschirm versehen. Bedient werden die vielen Menüs über den Comand-Controller, der BMW-like im Mitteltunnel untergebracht ist.

Nun ein Blick in den riesigen Fond: In unserem S600 haben die Fondpassagiere mindestens genauso viel zum Spielen wie Fahrer und Beifahrer: Eigenes Comand-Rädchen, eigene Klimaautomatik, x-fach verstellbare Sitze, Flachbildschirme in den Kopfstützen der Vordersitze und - ganz schick: da, wo man den Skisack vermutet, versteckt sich ein durchaus nutzbarer Kühlschrank.

Alles ist elektrisch bedienbar, von den beheiz- und belüftbaren Einzelsitzen (alle vier) bis hin zu den Rollos an der Heckscheibe und den Seitenscheiben der Fondtüren. Auch der Kofferraum öffnet und schließt auf Knopfdruck, die Türen ziehen sich automatisch ins Schloss. Klingt alles ein wenig nach Overkill? Ganz ehrlich, nach wenigen Stunden kommt einem der überbordende Luxus so normal vor, dass der Kopf frei wird für Kritik.

Nicht der Weisheit…

Manches ist tatsächlich umständlich gelöst. Die Massagefunktion der Sitze beispielsweise wurde bislang über einen simplen Druckknopf am Sessel aktiviert. Nun muss man in jenes Comand-Untermenü eintauchen, in dem auch die Polsterhärte und die Stellung der Seitenwangen angepasst werden können. Ein anderes Beispiel sind die in schickem Alu gehaltenen Fensterhebertasten in den Türen. Zu viele Schalter verhindern hier eine intuitive Bedienung. Die Taste fürs Heckscheibenrollo fehlt dagegen, diese Funktion muss man - um nicht wieder extra ins Comand zu wechseln - auf die frei belegbare Sterntaste neben dem Drehrad legen.

Auch der viel gepriesene Nachtsichtassistent hat uns wenig überzeugt. Grundsätzlich ermöglicht er zwar bereits bei Abblendlicht eine Sichtweite, die dem des Fernlichts entspricht. Wiedergegeben wird das von einer Infrarotkamera aufgenommene Bild auf einem Bildschirm im Kombiinstrument. Und genau da liegt die Krux, denn ausschließlich per Blick auf den Monitor zu fahren mögen Jet-Piloten im Stande sein, nicht aber der Otto-Normal-Verbraucher.

Großes Reisen

Die Fahreigenschaften der S-Klasse überzeugen auf ganzer Linie. Trotz seiner 5,21 Meter Gesamtlänge und der knapp 2,2 Tonnen Leergewicht ist der 600er ein Fahrerauto.

Schon der Antrieb für sich ist genial. Der 5,5-Liter-Zwölfzylinder entwickelt 517 PS und stemmt ein maximales Drehmoment von 830 Nm auf die Kurbelwelle. Verwaltet wird diese unbändige Kraft von einer supersanft schaltenden 5-Gang-Automatik.

Die Beschleunigung ist im Wortsinn atemberaubend. In 4,6 Sekunden stürmt der Riese auf Tempo 100 und schiebt mit kaum nachlassender Vehemenz weiter, bis die Elektronik bei 250 km/h sanft Gas wegnimmt. Selbst bei 230 km/h drückt einen der Vollgas-Befehl noch in den Sitz. Kein anderes Automobil entwickelt so dezent dermaßen viel Vorwärtsdrang.

Hauchen und Fauchen

Der Zwölfender kennt dabei nur zwei Tonarten: Mit zunehmender Last wird aus dem sanften Hauchen ein leises Fauchen. Unwirkliche Stille umgibt einen in jeder Situation, selbst bei V-max säuselt das Aggregat bei gerade einmal 4.200 Touren vor sich hin. Weder Wind- noch Fahrwerksgeräusche beeinträchtigen die glasklaren Töne der Konzertsaal-tauglichen HiFi-Anlage von Harman/Kardon.

Die Autobahn ist das eine, die Landstraße das andere empfehlenswerte Einsatzgebiet der S-Klasse. Überraschend agil und mit hoher Lenkpräzision gesegnet folgt die Fregatte so ganz und gar unschiffig den befehlen des Steuermanns. Das ABC-Fahrwerk (Active Body Control) verhindert eine Seitenneigung der Karosserie. Das hohe Fahrzeuggewicht macht sich in schnellen Kurven lediglich in Form quietschender Reifen bemerkbar.

Bleibt noch die Stadt. Positiv zu vermerken wären hier die sanfte Gasannahme in der C-Stellung der Automatik und die gar nicht so üble Übersichtlichkeit. Negativ fällt zum einen der immense Verbrauch auf: während auf der Autobahn bei konstant Richtgeschwindigkeit gerade einmal elf Liter pro 100 Kilometer durch die Einspritzdüsen fließen, nimmt der Zwölfender bei Stopp-and-Go gut und gerne 25 Liter. Zum anderen braucht man für das Schiff beinahe zwei Parkplätze. Das weckt nicht nur den Neid der anderen, sondern mitunter auch Wut. In unserem Fall gipfelte es in einem aufgeschlitzten Reifen.

Fazit

Mit der Zeit gewöhnt man sich an alles. Dass dieser Effekt bei einem Luxusautomobil viel zu schnell eintritt, zeigen unsere zwei Testwochen mit dem Mercedes S600. Nach wenigen Tagen ist Tempo 250 gewöhnliches Reisetempo. Wie selbstverständlich aktiviert der Fahrer den kühlenden Massagesitz, greifen die Fondpassagiere nach den eisigen Cola-Fläschchen im in der Rückbank integrierten Kühlschrank.

Doch das Mercedes-Topmodell zeigt auch, dass nicht alles gut sein muss, was teuer ist. Obwohl die Bedienlogik besser gelöst wurde als bei vielen Konkurrenten, übersteigen die vielen Einstellmöglichkeiten am Fahrzeug den eigentlichen Bedarf. Auch vermeintliche Sicherheitsgewinne wie ein Nachtsichtgerät bringen nur dann etwas, wenn man sie intuitiv nutzen kann - wovon beim Autofahren per Bildschirmblick nicht die Rede sein kann.

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