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Test: Mercedes SL 55 AMG – Schnell und furios

Schwarz. Breit. Und Stark. So könnte man den Mercedes SL 55 AMG beschreiben, der bei herrlichstem Cabriowetter auf unseren Parkplatz rollte. Sofort zieht der Roadster die Blicke der Kollegen auf sich - und wirft immer wieder diese eine Frage auf: Wann darf ich den mal fahren?

„Stark verändert haben sie ihn ja nicht“, war mein erster Eindruck beim Anblick des gelifteten, pardon, des modellgepflegten SL 55 AMG. Und das ist gut so, denn warum sollte man ein nahezu perfektes Auto großmächtig verschlimmbessern. Den Designern ist es gelungen, den Roadster mit nur minimalen Retuschen optisch frischer auftreten zu lassen.

Die neue Frontschürze soll dank größerer Pfeilung sportlicher wirken. Pfeilung hin oder her, dynamisch wirkt der SL auf jeden Fall, schon im Stand scheint er nach vorne zu drängen. Die Nebelscheinwerfer ziert fortan ein Chromring, ebenso hat AMG an den drei Lamellen des Kühlergrills das edle Metall angebracht.

Boshaftigkeiten

Am Heck erstrahlen die Leuchten seit der Überarbeitung in Klarglas. Bei der AMG-Version ist der mittlere Streifen in schwarz gehalten. Sieht böser aus, und passt somit auch viel besser zu den vier auffälligen Endrohren.

Den Kontakt zur Straße stellen Breitreifen auf 18-Zoll-Rädern im Vielspeichen-Design her. Vorne bediente sich die Schmiede aus Affalterbach 255er Pneus, am Heck sind es sogar 285er. Bevor man diese Walzen quietschen lässt, sollte man sich aber einen kurzen Moment lang dem Innenraum widmen.

Edles Interieur

Zierteile aus echtem Carbon, Schaltpaddel aus Aluminium, alles wirkt sportlich und hochwertig. Man wagt es kaum, mit schmutzigen Schuhen die edle Velours-Auslegeware zu betreten. Nur die Digitaluhr über der Mittelkonsole und das sichtbare Gestänge des Verdecks kann so gar nicht mit dem wertigen Auftritt mithalten. Auch die Vielzahl der Schalter rund um den Automatikwählhebel ist zu beginn etwas verwirrend.

In den Sportsitzen fühlt man sich bestens aufgehoben. Das elektrisch verstellbare Mobiliar kommt ab Werk mit Sitzheizung, Memory- und Multikonturfunktion (die bewirkt, dass sich in der Kurve die Seitenwangen aufblasen und so mehr Halt bieten). Bezogen sind die Sitze mit feinstem Nappa-Leder, ebenso die Türverkleidungen, die Armauflagen und die Hutze über den Rundinstrumenten. Allerdings machen sich die Ablage-Klapp-Fächer in den Türen hin und wieder knarzend und quietschend bemerkbar.

Bereit für die Rennstrecke

Die weit hinten liegenden Instrumente sind selbst bei direktem Sonnenlicht problemlos abzulesen. Das integrierte Kombiinstrument versorgt den Fahrer zudem mit weiteren Informationen. AMG hat hier ein extra Menü eingepflegt, das Auskunft über Batteriespannung und Öltemperatur gibt sowie einen Racetimer zum Stoppen von Rundenzeiten beinhaltet. Praktisch, will man mit dem SL auf die Nordschleife.

Ok, der Mercedes ist ein richtiger Brocken, bringt fast zwei Tonnen auf die Wage. Trotzdem kann er sich auf der Rennstrecke sehen lassen. Schließlich steckt unter der endlos langen Haube ein potenter Achtzylinder, dem ein Kompressor ordentlich Druck macht. Schon beim Anlassen per Knopfdruck auf dem Automatikwählhebel bollert das Aggregat wuchtig los und sorgt für verdrehte Hälse.

Da Capo

Das tiefe Brabbeln und Grollen ertönt in jedem Drehzahlbereich. Am besten zu hören ist der Klang natürlich bei geöffnetem Verdeck. Das Variodach (gegen 2.088 Euro auch als Panorama-Glasdach erhältlich) schließt und öffnet binnen 16 Sekunden. Bei offenem Dach will man ja den Wind im Haar spüren, bei geschlossenem Verdeck treten aber leider ab 220 km/h unangenehme Windgeräusche auf.

Oben ohne geht’s dann zur ersten Ausfahrt. Das Gefühl, den 517 PS starken Roadster durch die Abendsonne zu bewegen, ist einmalig. Da stört auch die Rushhour nicht, ganz entspannt (dank der Massagefunktion der Sitze) bewegt man den 4,54 Meter langen Mercedes durch die Straßen. Agil und handlich tritt der starke Stuttgarter im Stadtverkehr auf. Praktisch: Man muss nur kurz das Gaspedal antippen und erwischt die eigentlich schon gelbe Ampel fast noch bei Grün.

Kraft auf Abruf

Doch wir wollen nicht im Stau stehen, sondern testen, was der SL alles kann. Also raus auf die Autobahn. Der Vortrieb des Achtenders ist gigantisch, der Tritt auf’s Gas drückt die Passagiere in die Sitze. Der Grund: Sein maximales Drehmoment von 720 Newtonmeter. Bereits bei relativ geringen 2.600 Umdrehungen wird die volle Kraft auf die Kurbelwelle gestemmt, und bleibt konstant bis 4.000 Touren. Bei 6.100 Umdrehungen ziehen dann alle 517 Pferde am SL.

Die direkte Lenkung vermittelt guten Kontakt zur Straße, der SL folgt bilderbuchmäßig der vorgegebenen Linie. Geübte Fahrer können den Mercedes aber auch anders zu Richtungswechseln zwingen. ESP ausschalten und im richtigen Moment einmal kräftig Gasgeben, schon schleudert der Benz sein Heck um die Kurve.

Praktische Helfer

Damit dies nicht ungewollt passiert, sollte man den Helfer ESP besser aktiviert lassen. Das Stabilitätsprogramm lässt immerhin noch klitzekleine Drifts zu. Auch bremst es die Räder beim schnellen Beschleunigen gezielt ab die sonst gnadenlos durchdrehen würden.

Serienmäßig ist im SL 55 AMG ein Sportfahrwerk mit Active Body Control (ABC) verbaut. Die Dämpfung ist sportlich straff, lässt aber keinen Komfort vermissen. ABC vermindert zudem Wank- und Nickbewegungen bei Kurvenfahrten und Bremsungen.

Unauffällig sind die Schaltvorgänge der serienmäßigen Fünfstufen-Automatik. Im Comfort-Modus fährt der SL ganz sanft im zweiten Gang los und erledigt die Gangwechsel mit ruhiger Hand. Schaltet man auf Sport, geht alles einen Tick schneller und der Automat schaltet früher runter und später hoch. Zudem hat der Fahrer die Möglichkeit, alles selbst in die Hand zu nehmen und über die beiden Schaltwippen den Gang seiner Wahl zu suchen.

Schluckspecht

Doch selbst der sparsamste, stets früh hochschaltende Fahrer wird sich über den heftigen Verbrauch wundern. Im Stadtverkehr sind 22 Liter kein Problem, auch bei Autobahn- und Überlandfahrten ist es schwer, den SL unter 14 Liter zu bringen. Schließlich verleitet auch der kernige Sound immer wieder zum Gasgeben - selbst wenn es gar nicht nötig wäre.

Eine Frage bleibt aber dennoch offen: Ist so ein Auto auch praktisch? Klare Antwort: Ja! Bei geschlossenem Dach bietet der SL 339 Liter Kofferraum, offen sind’s noch 235 Liter. Ausreichend, um mit dem Benz in den Urlaub zu fahren. Zudem ist der Roadster langstreckentauglich, auch nach mehreren hundert Kilometern steigt man entspannt aus.

Fazit

Wirtschaftlich ist der Mercedes SL 55 AMG in keinster Weise. Der Grundpreis für das Spielzeug liegt bei 133.980 Euro. Unser Testwagen hat es mit einigen Extras, unter anderem Bi-Xenon-Licht, Vario-Glasdach und Keyless-Go, auf 143.724 Euro gebracht. Alternativ könnte man sich dafür eine schicke Wohnung kaufen. Aber hat man mit einer Wohnung so viel Spaß? Niemals!

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