Der Deutsche im Allgemeinen und der deutsche Automobiljournalist im Speziellen haben so ihre Ansichten über das perfekte Automobil. Kraftvoll muss es sein, zumindest in der Preisliste weiterhin als Diesel bereitstehen und über eine erhöhte Anhängelast sollte es ebenso verfügen. Ob man das eigene SUV mit einer Zugkraft von 3,5 Tonnen am Ende nur für den Laubhänger nutzt, sei einmal dahingestellt. Überhaupt viel wichtiger als die Erfüllung jener Phantomprotokolle ist es für einen Hersteller, bei etwaigen Fragen in diese Richtung die passenden Antworten parat zu haben. Vor allem wenn das eigene Produkt jene Parameter nicht erfüllen kann.
Und wahrlich, der französische Produktexperte von Nissan verstand es während des ersten Tests des X-Trail in Slowenien auf diese urst germanischen Erkundigungen, ob da noch ein Diesel kommt und wie es mit der eher mauen Anhängelast (nur 1.650 Kilogramm für ein Standard-Pferd samt Standard-Anhänger) beim Vollhybrid aussieht, direkt zu reagieren. Aus dem „Frenglishen“ (bitte nicht verwechseln mit „Frängisch“) übersetzt lautete seine Antwort sinngemäß in etwa so: Der Diesel habe ohnehin keine Zukunft und wer bitte hat zwei Pferde?
Wahrscheinlich nicht die gleichen Leute, die in Deutschland statistisch gesehen 1,58 Kinder haben und sich aus der Marketingperspektive Nissans darüber Gedanken machen, ob sie in einen Siebensitzer erst den Krimskrams in die Mittelkonsole oder den Nachwuchs im hinteren Isofix-Gestühl verstauen sollen. In ein Fahrzeugkonzept kann vieles hineingedichtet werden – im Falle des X-Trail ist es eben eine übertriebene Familientauglichkeit. Ab 35.500 Euro startet das Vergnügen, wenngleich der Testwagen mit allen Extras und dem neuen, im System bis zu 214 PS starken, e4ORCE-Allradantrieb eher familienunfreundliche 60.000 Euro kosten soll.
Kraftwerk des seriellen Hybrids, den man im Nissansprech so nicht nennen soll, ist ein für sich genommen 158 PS starker 1,5-Liter-Turbo mit variabler Verdichtung – in seinen Grundfesten übernommen von der Nobel-Tochter Infiniti (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 6,7-6,3 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 145-141 g/km)². Der Clou an dieser Technik: Der Dreizylinder arbeitet stets im verbrauchsgünstigsten Drehzahlbereich und zusätzlich konnte auf den Einsatz eines herkömmlichen Getriebes verzichtet werden. Der Benziner selbst treibt derweil nicht direkt die Räder an, sondern fungiert als Energielieferant für die 2,1 kW kleine Pufferbatterie. Diese wiederum speist, je nachdem ob Allrad- (e4ORCE) oder Frontantrieb (ePower) gewünscht ist, die ein bis zwei Elektromotoren des Nissan X-Trail mit Strom.
Was kompliziert klingt hat den alles entscheidenden Vorteil, dass, anders als etwa bei aktuellen Vollhybriden von Toyota, der Verbrenner unter kurzweiliger Volllast nicht das Plärren beginnt. Das funktioniert nicht nur in der Theorie, sondern ist auch während der ersten Testrunden tatsächlich spür- beziehungsweise hörbar. Gerade im innerstädtischen Bereich hat es Nissan zudem geschafft, dass sich der stromgestützte X-Trail (ein regulärer Mild-Hybrid-Benziner ist ebenfalls bestellbar) durch die unmittelbare Leistungsabgabe beinahe fahren lässt wie ein Elektroauto.
Auf der Autobahn beziehungsweise bei höheren Geschwindigkeiten büßt das Antriebskonzept des Zweitonners hingegen an Spontanität ein, der tiefe Tritt aufs Fahrpedal wird dann durch eine merkliche Gedenksekunde quittiert. Überschüssige Energie kann derweil über das sogenannte ePedal zurückgewonnen werden; sogar One-Pedal-Driving ist möglich.
In Verbindung mit dem harmonisch abgestimmten Stahlfahrwerk ergeben sich so im getesteten Nissan X-Trail e4ORCE überzeugende Fahrmomente, die auch dann nicht enden, wenn die befestigte Straße verlassen wird. Grobe Schotterpisten nimmt der Japaner mit viel Gleichmut und der elektrische Allradantrieb ist wahrlich tauglich, selbst morastige Untergründe passabel zu durchwühlen. Sollte sich der gemeine Forstwirt oder Jäger in der Alpenregion jetzt für einen X-Trail der vierten Generation interessieren – Offroadreifen wären trotz aller elektronischen Helferlein, entsprechendem Fahrprogramm und Torque Vectoring eine sehr gute Investition. Die Bodenfreiheit des X-Trail beträgt übrigens 20 Zentimeter.
Aber wie es die Marketingexperten bei Nissan schon erwähnt hatten, vornehmlich wird man auch den X-Trail eher im urbanen Gefilde zu Gesicht bekommen. Im normalen Fahralltag punktet das SUV durch einen guten Ein- und Ausstieg in beide Sitzreihen (die optional dritte Reihe taugt maximal für Menschen bis 1,60 Meter Größe), bequemes (Leder-)Gestühl und optional zahlreiche Komfortfeatures wie eine 3-Zonen-Klimaanlage oder zahlreiche USB-Steckplätze. Auch kabelloses Apple CarPlay und Android Auto ist mit von der Partie – allerdings erst ab der Ausstattungslinie „Acenta“ für mindestens 39.400 Euro.
In der Basisvariante „Visia“ nämlich hat das SUV noch keinen eigenen Infotainment-Screen, folglich gibt es auch noch nichts, wohin man sein Smartphone spiegeln könnte. Doch auch der größte 12 Zoll Touchschreen in der getesteten Top-Ausführung „Tekna+“ ab 50.730 Euro hat das Problem, dass ihm eher rudimentäre Software zur Seite gestellt wird. Die zum Teil fummelige Menüführung ist das eine, das katastrophale TomTom Navigationssystem das andere.
Die Kartendarstellung ist altbacken, die Übersicht unterirdisch. So kann es vorkommen, dass sich am zentralen Bildschirm der aktuelle Standort und der nächste Abbiegehinweis derart in die Quere kommen, dass man eigentlich gar nicht mehr weiß, wo man sich gerade befindet. Schade auch, dass das hochauflösende Kombiinstrument (ab Ausstattungslinie "N-Connecta" für 42.790 Euro) zu verspielt und weniger sachlich daherkommt.
Machen wir es kurz: Noch nie war Nissan X-Trail fahren fortschrittlicher, komfortabler, schlichtweg besser als in der ab sofort erhältlichen vierten Generation.
Im Vergleich zum Vorgänger ist den Japanern ein großer Wurf gelungen. Der Hybridantrieb funktioniert bestens, der elektrische e4ORCE-Allrad ist keine Notlösung und auch der Innenraum macht einen qualitativ hochwertigen Eindruck. Trotz einer Systemleistung von 214 PS sind dem X-Trail dynamische Fahreinlagen allerdings größtenteils fremd, das Infotainment-System hat seine Tücken und wer das SUV einmal „voll“ bestellt, rückt preislich spürbar in Richtung BMW X3 oder Audi Q5 auf. Auch wenn der X-Trail wenig mit einem echten Elektroauto zu tun hat – eine Eigenheit wird sich dennoch geteilt: Die geringe Anhängelast. (Text: Thomas Vogelhuber | Bilder: Hersteller)
*Herstellerangaben