„Hey, ich bin der Neue, bin günstiger als die anderen, habe mehr Ausstattung und sehe irgendwie auch noch cooler aus. Ich bin gekommen, um zu bleiben“. Wäre der Genesis GV80 ein Mensch, vielleicht würde er sich so vorstellen. Die Hyundai-Tochter hat ambitionierte Ziele, will nach eigener Aussage Luxus neu definieren und sich hauptsächlich aufs Onlinegeschäft konzentrieren.
Dennoch stampfen die Südkoreaner gerade Flagship-Stores, unter anderem in München und Zürich, aus dem Boden, um eben doch noch etwas näher am Kunden oder der Kundin zu sein. Dass der SUV-Thron des BMW X5 damit zu wanken anfängt, darf allerdings bezweifelt werden. Viel mehr als kleine Nadelstiche gegen den Münchner Lieblingsmitbewerber sind nicht drin, mehr ist aber wahrscheinlich auch nicht gewollt.
Warum eigentlich gerade der X5? Ganz einfach: Hyundai hat schon vor Jahren damit angefangen, namhafte BMW-Mitarbeiter abzuwerben. Allen voran der ehemalige M GmbH Entwicklungschef Albert Biermann wechselte nach Korea und zeichnet sich seit 2015 für die fahrdynamische Feinabstimmung bei Hyundai, Kia und jetzt wohl auch bei Genesis verantwortlich.
Dass weitere BMW-Leute übergelaufen sind, ist mit Blick unter die Motorhaube des Genesis GV80 nicht unwahrscheinlich. Der Debütant klotzt für uns Europäer nämlich einen eigens entwickelten Diesel in die SUV-Karosse. Nein, kein Vierzylinder. Ein seidig laufender 3,0-Liter-Reihensechszylinder mit 204 kW/278 PS und 588 Newtonmeter Drehmoment darf es sein (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 8,2-8,0 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 214-209 g/km²). Ein Schelm, wer hier an die 210 kW/286 PS des BMW X5 xDrive30d denkt (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 6,2-5,7 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 164-150 g/km²).
Gekoppelt ist das Aggregat an eine eigens entwickelte 8-Gang-Wandlerautomatik, die Fahrleistungen sind ansprechend, aber nicht sportlich. Der Antriebsstrang muss im Falle unseres Testwagens schließlich mehr als 2,3 Tonnen bewegen und so ist es kein Wunder, dass der GV80 3.0D trotz üppig wirkender Leistungsreserven gut 7,5 Sekunden benötigt, um von null auf 100 km/h zu beschleunigen. Die Höchstgeschwindigkeit erreichst du auf einer topfebenen Autobahn bei 230 Stundenkilometer, das Wohlfühltempo liegt allerdings deutlich darunter.
Oben auf ist das 4,95 Meter lange SUV dagegen in Kurven. Beinahe leichtfüßig und mit viel Präzision kannst du das Trumm in die Biegung setzen, das elektronisch geregelte Fahrwerk unterbindet so gut es geht störende Wank- und Rollbewegungen. Diese Dynamik geht allerdings zu Lasten des Federungskomforts. Beinahe „Biermann-typisch“ sportlich-hölzern rollt der Genesis über Wurzelaufbrüche, Querfugen oder Gullideckel. Die montierten 22 Zöller verstärken diesen Umstand noch.
Weiterhin von Münchner SUV-Größen bekannt: ein heckbetonter Allradantrieb sowie ein elektronisch arbeitendes Sperrdifferenzial. Dass die Lenkung mit einer ordentlichen Rückmeldung versehen ist, sollte ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Deutliche Abstriche muss man dagegen beim Verbrauch akzeptieren. Viel weniger als neun Liter auf 100 Kilometer (laut Bordcomputer) sollte man nicht rechnen. Bestwerte sehen anders aus.
Dafür klotzt der ab 70.100 Euro erhältliche Genesis GV80 Luxury Line (Premium Line ab 63.400 Euro) mit seinen inneren Werten. Für einen Testwagen-Gesamtpreis von 83.330 Euro gibt es unter anderem Nappa-Leder, elektrische Sitze vorne und hinten, ein Head-up Display, Softclose, jede Menge Assistenten und eine bemerkenswert gut klingende Lexicon-Soundanlage nebst aktiver Geräuschunterdrückung. Fehlt zur "Vollausstattung" nur noch das 1.610 Euro teure Panoramadach.
Günstig ist zwar auch das nicht, allerdings bringt es das hier verglichene Produkt aus München bei in etwa gleicher Ausstattung auf gut und gerne 20.000 Euro mehr. Dass die Assistenten des Genesis dafür nicht ganz auf der Höhe der Zeit arbeiten, die Infotainment-Bedienung des 14,5 Zoll großen Touch-Displays deutliche Schwächen aufweist und es kein Luftfahrwerk zu kaufen gibt, sieht man dem Koreaner da gerne nach. Beim Kofferraumvolumen setzt der Südkoreaner mit 735 bis 2.152 Liter Fassungsvermögen eine deutliche Duftmarke. An den Haken kann das SUV bis zu 2,7 Tonnen nehmen.
Optisch orientiert sich der GV80 – weithin sichtbar – dagegen nicht am X5. Viele erkennen in ihm einen Bentley Bentayga, für die jüngere Generation hätte ich auch einen Grand Theft Auto-Vergleich auf Lager. Denn die Spieleentwickler schaffen in der Action-Serie seit gut 20 Jahren das, was die Genesis-Designer nun unter anderem beim GV80 hinbekommen haben: Autos zu kreieren, die irgendwie aussehen wie bekannte Vorbilder, beim näheren Hinsehen aber doch ihre Eigenständigkeit unter Beweis stellen.
Bis es Genesis zur Marktdurchdringung bringt, wird noch etwas Zeit ins Land gehen. Das SUV-Debüt in Form des GV80 ist auf jeden Fall gelungen. Verarbeitung, Motor-Getriebekonzept, Ausstattung – top. Fahrkomfort, Verbrauch und Bedienkonzept – verbesserungswürdig. Dafür crasht die Genesis-Preisgestaltung die deutsche Oberklassenparty und lässt nicht nur einen BMW X5 ganz schön teuer dastehen. (Text: Thomas Vogelhuber | Bilder: Hersteller)