Alles an Polestar ist irgendwie anders. Nicht nur die Autos, sondern auch die erste Fahrpräsentation des rein elektrischen Polestar 2. Nicht im Rahmen einer internationalen Veranstaltung fand diese statt, sondern bedingt durch Corona eher intim, ohne viel Tamtam. Per Roadtrip durch die Republik wurde das Elektroauto der Fachpresse und ausgewählten Kunden vorgestellt, ökologisch korrekt mit kurzen Anfahrwegen und damit sehr zum nachhaltigen Markenauftritt passend. Da wirkt es nur stimmig, dass Volvo Chefdesigner und Polestar-CEO Thomas Ingenlath, obwohl in Deutschland geboren, gerne den kecken Schweden raushängen lässt. Grauer Mantel, statt Sakko. Turnschuhe, statt Budapester.
Elektromobilität neu gedacht
Anders als die „Big Player“ tritt man beim Thema Elektromobilität offensichtlich nicht auf der Stelle. Sich selbst und allen anderen will Polestar beweisen, dass Autofahren, aber auch Autokaufen (innerhalb von zwei Minuten auf der eigenen Webseite), in Zukunft anders, vielleicht sogar besser und unterm Strich umweltfreundlicher funktionieren kann. Hinter dem „Nordstern“ steht bekanntermaßen Volvo Cars, die sich mit der Entwicklung und dem Bau moderner Fahrzeuge bestens auskennen. Zusammen mit der chinesischen Geely Holding stehen Polestar zudem starke Finanz- und Produktionsressourcen zur Verfügung, auf die der Elektro-Newcomer natürlich zurückgreifen kann.
Polestar 2 läuft in China vom Band
Sodann ist es auch nicht verwunderlich, dass der Polestar 2 in Luqiao, China gefertigt wird. Parallel läuft der Volvo XC40 vom Band, der Ende 2020 ebenfalls sein rein elektrisches Debüt feiern wird. Beide Autos basieren dabei auf der gleichen CMA-Plattform von Volvo und teilen sich ferner die Antriebskomponenten. Den Anfang macht der Polestar 2 zunächst mit der stärksten 300 kW/408 PS Allrad-Motorisierung (Stromverbrauch kombiniert: 19,3 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0g/km²). Die zwei Synchronmaschinen, je eine an der Vorder- und Hinterachse, sorgen im steten Zusammenspiel zudem für ein kombiniertes Drehmoment von 660 Newtonmeter und durchaus beachtliche Fahrleistungen.
Starten ohne Startknopf
Aufschließen, einsteigen, losfahren. Einen Startknopf kennt der Polestar 2 nicht, sondern registriert per druckempfindlicher Einlage auf dem Fahrersitz, wenn jemand hinter dem Steuer Platz genommen hat. Den Wahlhebel auf D gedrückt: Los geht’s! Im wahrsten Sinne des Wortes katapultartig ist die Beschleunigung; 100 km/h fallen aus dem Stand innert 4,7 Sekunden, elektronisch abgesichert wird bei Tempo 205. Volvo und Tempo – da war doch was? Richtig! Neue Volvos werden aus Vernunftsgründen bereits bei 180 Stundenkilometer limitiert, die Polestars dürfen, da sich die Submarke der Performance verpflichtet fühlt, etwas schneller rennen.
Performance-Künstler mit Öhlins-Fahrwerk
Dabei hätte der Polestar 2 durchaus das Zeug für noch höhere Endgeschwindigkeiten. Unser, mit optionalem Öhlins-Fahrwerk ausgerüsteter, Testwagen lag selbst bei deutschem Autobahntempo mehr als satt auf der Piste, was natürlich auch an der gewichtigen Hochvoltbatterie im Fahrzeugboden und dem daraus resultierenden niedrigen Schwerpunkt liegt. 78 Kilowattstunden fasst der Energiespeicher und soll laut Polestar eine WLTP-Reichweite von 470 Kilometer ermöglichen – eine Überprüfung dieser Angabe war beim ersten Test allerdings nicht möglich. Mit einem Verbrauch von 30 kWh/100 km setzte der Polestar 2 während unserer Ausfahrt aber eine erste Duftmarke, was sportliche E-Auto-Fahrer beim Energieverbrauch erwarten dürfen.
One-Pedal-Driving: Wenn die Brembo-Bremse nichts zu tun hat
Und beileibe: man wird sich oft zurückhalten müssen, um nicht stets die 408 PS herauszufordern. Abseits von langen Autobahngeraden und stockenden Stadtpassagen ist der Polestar 2 nämlich ein wahrer Performancekünstler für die Landstraße. Das liegt nicht nur am angesprochenen Öhlins-Fahrwerk, sondern auch an der in drei Stufen einstellbaren elektrischen Lenkung. Das Fahrwerk selbst ist übrigens nicht adaptiv regelbar, lässt sich aber in allerbester Motorsportmanier vom versierten Experten in der Werkstatt (oder der eigenen Garage) über Stellschrauben nachjustieren. Gebremst wird in aller Regel weniger mit der (optionalen Brembo-)Stahlbremse, sondern primär per Rekuperationsfunktion. Das sogenannte One-Pedal-Driving ermöglicht es dem Polestar 2 ohne Einsatz der Bremsanlage stehenzubleiben, die Kriechfunktion des 1-Gang-Getriebes kann ebenfalls deaktiviert werden. Positiver Nebeneffekt beim Einpedalfahren: Überschüssige Energie wird direkt in die Traktionsbatterie zurückgeleitet.
Mit bis zu 150 kW am Schnelllader
An der DC-Schnellladesäule kann sich der chinesische Schwede derweil Strom mit bis zu 150 kW ziehen und seine Hochvoltbatterie in rund 40 Minuten von null auf 80 Prozent laden. Am AC-Lader mit maximal 11 kW soll der Ladevorgang laut Hersteller bis zu acht Stunden dauern. Von außen ist der Ladestand über das Fahrerinformationsdisplay klar abzulesen, dass in Sachen Schärfe und Detailgrad den aktuellen Volvo-Anzeigen spürbar überlegen ist. So auch das generelle Bediensystem mit installiertem Android Automotive OS. Über dessen Implementierung allein könnte man einen ganzen Bericht schreiben, kurz zusammengefasst ist die Integration aber vollends gelungen.
Android Automotive mit intuitiver Bedienung
Beinahe jeder Smartphone-Nutzer hat schon mit Google Maps gearbeitet, die Bedienung und Navigationsführung gelingt daher intuitiv, Symbole und Darstellung sind bekannt. So lässt sich das gesamte Infotainmentsystem im Polestar 2 auch wie ein großes Android Phone bedienen – inklusive treffsicherem Sprachdialogsystem. Der restliche Innenraum erinnert in positiver Weise an den Volvo XC40, sowohl bei der Materialauswahl als auch bei der Verarbeitung. Als Highlight verwendet man überdies keine Bezüge aus tierischer Herkunft, selbst das Lenkrad ist wahlweise vegan. Alternativ stehen aber weitere, teils mit Nappaleder bezogene, Ausstattungen zur Wahl.
Erstes Fazit
Der Polestar 2 hinterlässt nach den ersten Kilometern einen durchwegs positiven Eindruck. Performance, Design und die Integration von Android Automotive sind zukunftsweisend, der Wagen ab 53.540 Euro vergleichsweise fair eingepreist. Nun gilt es, die ersten Kunden des Polestar 2 zufriedenzustellen, Auslieferungen pünktlich abzuwickeln und weiter an der Ladeinfrastruktur zu arbeiten. Ende des Jahres erscheint auf gleicher Plattform dann der Volvo XC40 Recharge, bevor für 2021 eine neue, günstigere, Basis-Version des Polestar 2 geplant ist. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)
Technische Daten*
- Modell: Polestar 2
- Motoren: 2x AC synchron, Permanentmagnet
- Batterie: 78 kWh
- Dauerleistung: 300 kW/408 PS
- Drehmoment: 660 Nm
- Antrieb: Allrad, 1-Gang-Getriebe
- Verbrauch kombiniert: 19,3 kWh/100 km²
- CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²
- Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 4,7 s
- Höchstgeschwindigkeit: 205 km/h
- Abmessungen (L/B/H): 4,61 m/1,99 m/1,48 m
- Gewicht: ca. 2.123 kg
- Grundpreis: ab 53.540 Euro
*Herstellerangaben