Der Volkswagen-Konzern befindet sich im Wandel. Sozusagen in der eigenen Zeitenwende hin zur Elektromobilität. Für die Kernmarke bedeutet das nach eigener Wahrnehmung, dass man mit bekannten Größen, Denkweisen und Automodellen brechen muss. Wie lange darf der Golf noch leben? Gibt es einen Passat-Nachfolger nach dessen Verbrenner-Ende? Ungewiss, genauso wie der Fortbestand des Markenkürzels GTI. „Gran Turismo Injektion“ hat mit einem Elektroauto in etwa so viel zu tun wie Schlagermusik mit gutem Geschmack, doch gänzlich unter den Tisch fallen lassen wollten sie die Sache bei VW dann doch nicht.
Aus dem „I“ für Injektion wurde also ein „X“ für… ja, für was eigentlich? Cross? Oder steht das X für einen Platzhalter, bis man wirklich definiert hat, was man in Wolfsburg eigentlich will? Im Norden Deutschlands werden Technikvorstände nicht müde bereits den ID.4 GTX (Stromverbrauch kombiniert: 17,4 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km; Reichweite: bis zu 479 km)² als einen Sportwagen zu sehen, doch sportlich und sportlich sind immer noch zwei paar Turnschuhe. Denn auch der bis auf das Schrägdach baugleiche ID.5 GTX (Stromverbrauch kombiniert: 17,1 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km; Reichweite: bis zu 490 km)² zeigt beim ersten Test in den österreichischen Bergen schnell, dass die Fahrdynamiker zwar gute Arbeit geleistet haben, aber weder den hinter uns aufragenden Wilden Kaiser noch das schiere Gewicht des Wagens hinfort zaubern können.
2,3 Tonnen wiegt der ID.5 GTX und wer an dieser Stelle schreibt, dass das Gewicht kaum spürbar wäre, der hat die Sache nicht ganz verstanden oder ist nie in seinem Leben ein wirklich leichtes Auto gefahren. Es wäre allerdings unfair dem ID.5 Coupé eine ausgewiesene Unsportlichkeit zu attestieren und so einigen wir uns an dieser Stelle auf das Wort: „souverän“. Sowohl die kombinierte Leistung der beiden E-Maschinen von 220 kW (300 PS) als auch die bisweilen hecklastige Abstimmung des elektrischen Allradantriebs erzeugen für den Alltag dementsprechend souveräne Fahrleistungen. Der im Unterboden verbaute netto 77 kWh Akku lässt den Wagen satt auf der Straße liegen und auch die Lenkung macht ihre Sache gut, könnte aber, VW-typisch, etwas mehr Gefühl vertragen.
Sie zeigt zudem, dass eine Progressiv-Lenkung, je nach Abstimmung, nicht als Allheilmittel zu verstehen ist. Einen Mausklick entfernt ist derweil das deaktivierbare ESC, das es sicherlich schon fertig entwickelt auf irgendeinem VW-Server zum Testen gäbe. Denn das ESC Sport-Programm des GTX ist dann doch ein gewisser Hemmschuh für allzu forsche Fahrmanöver. Freilich wollte man nicht reihenweise Neu-ID-Fahrer ob des sofort einsetzenden Drehmoments von immerhin 460 Nm abseits der asphaltieren Pisten wissen, doch etwas mehr Freiraum – und seien dafür noch so viele wegzudrückende Warnmeldungen nötig – wäre wünschenswert.
Dafür aber kann der ID.5 GTX sehr schön von alleine Einparken. Um genau zu sein 50 Meter ab einem festgelegten Startpunkt und natürlich nur dann, wenn man dem Wagen mit vorhandenem GPS-Signal vorher gezeigt hat wie’s geht. Für den 18-jährigen Nachwuchs oder die schlecht sehenden Großeltern eine feine Sache, ansonsten gäbe es für die Software-Entwickler aber auch wichtigere Baustellen. Zum Beispiel könnten sie den immer noch vorhandenen Fehlermeldungen entgegenarbeiten, die während der Testfahrt zum Beispiel den Ausstieg des 12-Volt-Bordnetzes vermeldeten. Nach rund 70 Kilometern erfolgte dann die rätselhafte Selbstheilung.
Dass die Investition in neue Software auch ihre guten Seiten hat, zeigt eine Erhöhung der maximalen Ladeleistung von bisher 125 auf jetzt 135 kW. Nicht nur der hier gefahrene ID.5 GTX profitiert von der Optimierung, auch bereits gekaufte ID-Modelle erhielten oder erhalten ein entsprechendes Over-the-Air-Update. Laut Volkswagen sollen so DC-Ladevorgänge von fünf auf 80 Prozent in nur 36 Minuten erledigt sein. Probieren konnten wir das mangels entsprechender Infrastruktur entlang unserer Route in Tirol nicht, doch zeigte bereits der ID.4 Pro, mit noch altem Software-Stand 2021, durchaus Potential beim Stromziehen.
Und der Innenraum? Der ist für ein ID-Modell wirklich schick geworden. Der sterile Praxis-Charakter konnte zwar nicht gänzlich abgelegt werden, doch der Zahnarzt unseres Vertrauens hat sein Wartezimmer immerhin mit "X-blauem" Kunstleder feintapeziert. On top gibt es rote Ziernähte, ähnlich wie in einem echten GTI.
Bis zu 490 Kilometer Reichweite verspricht Volkswagen beim ID.5 GTX und wer von diesem Wert gut 100 Kilometer abzieht, sollte auf jeden Fall auf der sicheren Seite sein. Ein erster Testverbrauch um 20 kWh auf 100 Kilometer in den österreichischen Bergen ist respektabel, weniger scheint ebenfalls möglich zu sein. Ein richtiger Sportsfreund wird aus dem ID.5 GTX derweil nicht. Das Motorenduo sowie das optionale Adaptivfahrwerk sprechen eher für einen Gran Turismo ohne X, dessen Souverän es ist, auf der Langstrecke zu überzeugen. Los geht die Reise ab 53.615 Euro, der ausgewiesene Konkurrent lautet Kia EV6 AWD GT-Line (Stromverbrauch kombiniert: 17,2 kWh/100km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km; Reichweite: 506-528 km)². (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)