Ganz schön viel Theater wurde in den letzten Jahren veranstaltet. VW stellte Studien vor, gab Namen bekannt und versuchte auch, mit eigenen Events zum Reservierungsstart des neuen Elektroautos ein wenig Start-up-Glamour an den Mittellandkanal zu bringen.
Locker und motiviert gab man sich, während die Entwicklungsabteilungen und Marketingstrategen wohl eine Überstunde nach der anderen anhäuften. Denn wenn ein alteingesessener Automobilkonzern den kompletten Reset versucht, geht das nur parallel zum Kerngeschäft. Der neue Golf und SUVs wurde entwickelt, während die ID-Familie heranreifte.
Das der „Game Changer“ Tesla mittlerweile nur zweieinhalb Autostunden östlich von Wolfsburg eine neue Fabrik für Elektroautos hochzieht, dürfte den Ehrgeiz weiter anfeuern. Eigentlich kann sich VW keine Pannen erlauben. Die Tesla-Jünger verzeihen ihrem Auto vielleicht immer noch eine Verarbeitungsqualität nach dem Zufallsprinzip oder gar abfallende Karosserieteile. VW will das, spätestens nach dem Diesel-Skandal, nicht riskieren. Und schlitterte prompt in eine Software-Falle.
Einige Funktionen fehlen noch
Im September sollen jetzt endlich die ersten Exemplare des neuen VW ID.3 zur Auslieferung kommen. Allesamt als 1st Edition mit fester Konfiguration in drei Ausstattungsstufen – was bleibt VW auch anderes übrig, nachdem die Fahrzeuge bereits vorproduziert wurden.
Das heiß ersehnte Head-up-Display mit Augmented Reality wird dann später aufgespielt, wenn man mit der Auslieferung nicht bis in den Spätherbst warten möchte. Over-the-air, also über den Onlinezugang des Autos, funktioniert das aber noch nicht. Der Servicepartner freut sich über einen Besuch. Dann wird auch App Connect nachgerüstet, ohne das weder Apple CarPlay noch Android Auto genutzt werden können.
Jetzt aber los, der VW ID.3 steht zur ersten Probefahrt bereit. Die neue Ära, die der Konzern gerne heraufbeschwört, beginnt schon vor dem ersten Meter. Einen Start-Knopf gibt es, im Gegensatz zu anderen Elektroautos, zwar noch. Er muss aber nicht mehr gedrückt werden. Mit dem Fuß auf dem Bremspedal wird der Fahrstufenschalter hinter dem Lenkrad auf „D“ gestellt und es geht los.
Heckantrieb wie einst im Käfer
150 kW (204 PS) leistet der Elektromotor maximal (Stromverbrauch kombiniert: 14,5 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0g/km²). Die Maschine hat in etwa die Größe einer Sporttasche und sitzt über der Hinterachse. Auf kurzem Weg treibt sie auch die hinteren Räder an. Mit diesem Heckantrieb zitiert der VW ID.3 also ganz charmant den Käfer.
Fahrdynamisch liegen freilich nicht nur Welten, sondern ganze Universen zwischen dem Urahn und dem neuen Elektroauto. 310 Newtonmeter Drehmoment stehen, das liegt in der Natur eines Elektromotors, direkt parat.
Mit einem kräftigen Druck auf das Fahrpedal ringen die 215 Millimeter breiten Hinterräder zumindest auf Schotter kurz um Traktion, dann stürmt der 1,8 Tonnen schwere ID.3 vehement und ohne Zugkraftunterbrechungen voran.
Plötzlich klingt ein Elektroauto toll!
Erstmals schafft ein Elektroauto dabei übrigens eine Soundkulisse, die nicht nur nach Elektro klingt, sondern Begehrlichkeiten weckt. Dies bestätigen viele der Schaulustigen, die selbst im kleinsten Dorf Spalier stehen. Gut, wir sind mit dem Gletscherweißen ID.3 auch im Flachland zwischen Hannover und Wolfsburg unterwegs, wo schätzungsweise jeder zweite Haushalt etwas mit VW zu tun hat.
Wir stromern, nachdem die Beschleunigung ein paar Mal ausprobiert wurde, entspannt über Landstraßen und durch Ortschaften. Schnell pendelt sich der Stromverbrauch bei knapp unter 16 kWh pro 100 Kilometer ein – nicht weit entfernt von den 14,5 kWh nach Norm.
Bis zu 100 kW Ladeleistung
58 kWh Netto-Speicherkapazität bietet die Lithium-Ionen-Batterie im VW ID.3 (später folgen die Pro-Modelle mit 77 kWh und ein kleinerer Akku mit 45 kWh). 420 Kilometer Reichweite verspricht VW damit. Nachdem wir den Testwagen am Schnelllader via CCS mit Strom vollgepumpt haben, verspricht der Bordcomputer knapp 330 Kilometer – er hat sich halt das wilde Herumgesumme von vorhin gemerkt.
100 kW Ladeleistung soll der VW ID.3 mit der 58 kWh-Batterie maximal erreichen. Das gelingt wohl mit relativ leerer Batterie. Während der Probefahrten sind wir mit 41 Prozent Ladung (SoC, State of Charge) an die Säule gefahren. Dann pendelte sich die Ladeleistung kurz bei 67 kW ein.
So blieb genug Zeit, den Innenraum des Autos zu erkunden. Die digitalisierte Bedienung ist bereits aus dem VW Golf 8 und dem neuen Seat Leon bekannt. Auch der ID.3 verzichtet auf Knöpfe und lädt in die Menütiefen eines zehn Zoll großen Touchscreen-Monitors ein.
Vorne sitzt man bequem, hinten weniger
Hinter dem Lenkrad blickt man auf ein 5,3 Zoll großes Display für die fahrrelevanten Daten. Das Modul ist direkt auf der Lenksäule montiert und somit in jeder Einstellung optimal ablesbar. Auch die Sitzposition vorne gefällt. Im Testwagen, einem ID.3 1st Max (ach, wie war das einfach, als Golf C, CL und GL in der Preisliste standen), schrauben sie die bequemen ErgoActive-Sitze auf die Schienen.
Gemischt Gefühle dagegen im Fond. Weil auch im ID.3 das große Batteriepaket im Boden steckt, hockt man mit relativ stark angewinkelten Beinen auf der zu tiefen Bank. Für große Menschen ist auch die Kopffreiheit nicht allzu üppig bemessen.
Die Kunststofflandschaft im Interieur zeigt sich flächendeckend klopffest und strahlt eine gelangweilte Tristesse aus. Erste Flecken und Kratzer zeigen, dass man leider trotzdem im Alltag aufpassen sollte – sonst wird das schnell unansehnlich. Das gilt auch für die Klavierlackeinlagen an den Türtafeln. Gerade hier dürften Ehe- oder Verlobungsringe durch ständigen Kontakt für Spuren sorgen.
DCC kommt später
Bei der Inneneinrichtung gibt es also noch Verbesserungspotenzial. Was sich die automobile Hardware drumherum nicht nachsagen lässt. Das Fahrwerk zeigt sich straff, dabei aber trotz großer 20-Zoll-Felgen niemals unkomfortabel. Adaptive Dämpfer sind für den ID.3 erst später lieferbar, dem Testwagen genügt eine zweistufige Federungscharakteristik mit dem Modi Normal und Sport. Die Spreizung ist recht gering, dennoch raten wir eher zur Normal-Stellung.
Nicht nur der Elektroantrieb ist flüsterleise. Auch sonstige Fahrgeräusche, zum Beispiel das Abrollen der Reifen oder Fahrtwind, sind kaum hörbar. Hier haben die Techniker ganze Arbeit geleistet und genau hingehört.
Über das Bremspedal wird zuerst die Energierekuperation des Antriebs angesteuert, bevor die Scheiben vorne zupacken. Hinten genügen dem ID.3, nach Meinung seiner Entwickler, Trommelbremsen. Über den Fahrmodusschalter kann man außerdem in den B-Modus wechseln, in dem der ID.3 stets spürbar rekuperiert. Das One-Pedal-Feeling einiger Mitbewerber bietet er aber nicht – wohl auch, weil VW Frau und Herrn Ottonormalkunde nicht überfordern will.
Das regelt dann die Preisliste. Der Testwagen parkt dort für 49.995 Euro. Dann ist aber auch „einmal alles“ an Bord, von Matrix-LED-Scheinwerfern über das Assistenzpaket Travel Assist bis hin zur Wärmepumpe. Die Serienmodelle starten mit der 58 kWh-Batterie bei 35.57495 Euro. 2021 soll das Basismodell mit kleinerem Akku folgen, womit der Einstiegspreis unter die Marke von 30.000 Euro fällt.
Erstes Fazit
Hut ab, VW. Der neue ID.3 ist nicht nur ein gutes Elektroauto, sondern vor allem ein gutes Auto. Genau das zeigt die Strategie des Konzerns. Mit den gut ausgestatteten und teuren 1st-Modellen werden die „First Mover“ angesprochen. Sie bringen den ID.3 ins Straßenbild. Wenn die noch weniger E-affinen Kunden dann in die Schauräume kommen, wird VW auch günstigere Varianten anbieten, außerdem auch die Infrastruktur von der Wallbox bis zum Ökostromvertrag. Das Fahren im VW ID.3 ist eine Freude, sobald man den teils rustikalen Charme der Inneneinrichtung verarbeitet hat. (Text und Bild: Bernd Conrad)
Technische Daten*
- Modell: VW ID.3 1st Max
- Motor: Permanenterregte Synchronmaschine
- Leistung: 150 kW (204 PS)
- Drehmoment: 310 Nm
- Antrieb: Heckantrieb, 1-Gang-Reduktionsgetriebe
- Verbrauch kombiniert: 14,5 kWh/100 km²
- CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²
- Beschleunigung (0 – 100 km/h): 7,3 s (mit Performance Upgrade)
- Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h
- Abmessungen (L/B/H): 4,26 m/1,81 m/1,57 m
- Gewicht: ca. 1.800 kg
- Batteriekapazität: 58 kWh
- Grundpreis VW ID.3 1st Max: ab 49.995 Euro
*Herstellerangaben