Es war einmal, so beginnt meistens das Märchen des Schneewittchensargs, ein wunderschönes und praktisches Kombi-Coupé mit gutem Elternhaus und einem soliden Lebenswandel. Doch dann kam das, was im Verlauf von Märchen meistens kommt, nämlich das jähe Ende durch den bösen Feind, dem Rost. Und aus dem einst so stolzen Schwan wurde über die Jahre ein vor sich hin siechender Haufen Metall, dem nur eine gründliche Frischzellenkur wieder auf die Räder helfen konnte.
Wer rastet, der rostet.
So oder so ähnlich dürfte nahezu jede Vita des nur 8.077 Mal gefertigten Volvo 1800 ES aussehen. Denn das von Designer Jan Wilsgaard geformte Kombi-Coupé verhält sich in Sachen Korrosion kaum anders, als das wesentlich häufiger produzierte Coupé. Beide Modelle sind, als Kinder der frühen siebziger Jahre, schon früh anfällig gewesen für die braune Pest. Mangelnde Korrosionsvorsorge, streusalzhaltige Winter und schwindendes Pflegebewusstsein der Dritt- und Viert-Besitzer machten die Volvos gegen Ende der Schlaghosenära zu echten Lehrmodellen von Hobby-Schweißern. Hauptsache hält und hat TÜV, schien allerdings deren Leitspruch zu sein und so reduzierte sich der ohnehin schon knappe Bestand in den 80er Jahren noch einmal erheblich. Die noch verbliebenen heimischen Exemplare des Volvo 1800 ES überlebten nur deshalb, weil meist aufwendige und entsprechend kostenintensive Restaurationen die schlimmsten Fehler der Vergangenheit ausradierten. Doch diese Arbeiten liegen in der Regel schon 20 oder mehr Jahre zurück, weswegen ein genauer Check auch bei restaurierten Modellen lohnt.
Wer suchet, der findet.
Das Grauen beginnt meist schon im verwinkelten Vorderwagen, wo sich zahlreiche Angriffspunkte für den Rost finden. Neben den Stehblechen in den Radhäusern findet der Gilb vor allem im Bereich der Frontschürze, den Scheinwerfertöpfen und der A-Säule reichlich Nahrung. Hier sammelt sich bei täglich genutzten Fahrzeugen gern der Straßendreck und speichert die Feuchtigkeit, was bei schlechter Rostvorsorge das rasche Ende von Stehblechen und A-Säulen bedeutet. Daneben sind aber auch die vorderen Endspitzen der Schweller betroffen. Im Endstadium fault der Volvo in diesem Bereich komplett durch und Wasser dringt in die vorderen Fußräume ein. Feuchte Teppiche und ein moderiger Geruch im Innenraum sind die Folge.
Mit Wachs gegen Rost
Anbauteile, wie Kotflügel oder die Motorhaube, machen dagegen bei sorgfältig restaurierten Fahrzeugen nur selten Ärger, solange ihre Hohlräume nach der Restauration mit reichlich Wachs geflutet wurden. Das gilt auch für die Türen, deren untere Kanten in früheren Jahren regelmäßig mit Reparaturblechen instandgesetzt werden mussten. Mangelnde Belüftung und verstopfte Ablauflöcher können aber auch noch heute ein Grund für Rostnester sein. Ebenfalls gefährdet sind die Bereiche des Kofferraumbodens, wo eine undichte Heckklappe oder schadhafte Rückleuchten den Wassereinbruch begünstigen, sowie die Bereiche rund um die Scharniere der Front- und Heckklappe.
Auf den Leim gegangen
Die große Beliebtheit des Volvo 1800 ES in den USA sorgte in der Vergangenheit immer wieder für ein reichhaltiges Angebot dieser „Spätheimkehrer“ in Europa. Wer auf den häufig verlockend klingenden Zusatz „rostfreier US-Import“ baut, fällt allerdings nicht selten auf Spachtelmonster erster Güte herein und darf sich über hohe Kosten für die spätere Instandsetzung nicht wundern. Neben der Benutzung eines Lackschichtenmessers ist auch etwas Fingerspitzengefühl notwendig, die guten von den schlechten Autos zu trennen.
Unterschiedliche Spaltmaße an den Türen und Hauben gehören ebenso wenig an den Volvo, wie komplett konturlose Seitenschweller. Sie waren ab Werk mit zwei Sicken unterhalb der Türen versehen, die bei schlecht restaurierten Modellen schon mal übergespachtelt sein können. Ebenfalls problematisch ist der in den USA bis in die 80er Jahre verwendete Lack. Dieser ist wenig haltbar und reagiert unter Umständen auf heutige Lackzusammensetzungen allergisch. Unerwartet heftige chemische Reaktionen bei Neulackierungen können die Folge sein, sodass mitunter die Entfernung des kompletten Lackkleides des Schneewittchensarges erforderlich sein kann.
Antrieb – Dieser Volvo liebt’s gemütlich
Auch, wenn der 1800 ES gerne als Sportwagen bezeichnet werden will, diesem Wunsch wird er nur in Maßen gerecht. Zu lahm erwies sich bereits bei seinem Debüt maximal 124 PS starke Vierzylinder. Doch was des einen Leid, ist des anderen Freud, denn die biedere Antriebstechnik des Volvo verleitet nur selten jugendliche Heißsporne zu materialmordender Fahrweise. Die Mängel halten sich daher auch in Grenzen.
Neben dem beinahe an jedem Fahrzeug anzutreffenden Ölverlust an der Kurbelwelle (undichte Filzdichtringe der Kurbelwelle), gelegentlich defekter Zylinderkopfdichtungen (Abgas im Kühlmittelkreislauf) sorgt eigentlich nur die Gemischaufbereitung für lange Gesichter bei Schneewittchens Liebhabern. Dabei ist der zunächst verbaute Vergaser nur selten die Ursache für Probleme mit dem 2,0-Liter. Vielmehr macht die Bosch D-Jetronic mit allerlei Ungereimtheiten auf sich aufmerksam. Zum Repertoire der Probleme gehört, neben einem unrunden Leerlauf, auch Teillastruckeln oder Leistungsmangel. Eine umfassende Diagnose und die anschließende Reparatur ist dabei nichts für den Laien und verschlingt bei einem sachkundigen Bosch-Dienst schnell hunderte von Euro. Umbauten auf die vermeintlich einfacher zu beherrschende Vergasertechnik oder gar der Einbau einer modernen, frei programmierbaren Einspritzung sind dagegen Stilbrüche, die dem Werterhalt des Volvos nur bedingt förderlich sind.
Einfach, aber sicher. Das Fahrwerk
Ähnlich simpel wie der Antriebsstrang ist auch das Fahrwerk des 1800 ES aufgebaut. Die Vorderachse mit einem rustikalem Fahrschemel und Schraubfedern ist zwar optisch nach 40 Jahren keine Augenweide mehr, macht aber ebenso wenig Ärger, wie die simple hintere Starrachse. Einzig die etwas aufwändigere Lenkgeometrie reagiert auf ewigen Stillstand schon mal mit knarzenden Gelenken oder erhöhtem Spiel. Doch die Reparaturen an den Achsen sind vergleichsweise übersichtlich und mit frischen Bremsen, Stoßdämpfern und Reifen wird aus dem Boulevard-Racer ein durchaus brauchbar liegendes Auto.
Tuning für mehr Fahrspaß und Lebensdauer
Da sich speziell die jüngere Generation mit dem Gebotenen nur selten zufrieden gab, boten zu Hochzeiten zahlreiche Tuner die verschiedensten Teile zur Optimierung des Volvo an. Neben breiteren Felgen, modifizierten Sport-Stoßdämpfern und veränderten Federn gab es auch mehr „Bumms“ für den Motor. Mit klassischen Maßnahmen, wie einer veränderten Nockenwelle und einem anderen Abgaskrümmer samt Sportauspuffanlage, leistet der 2,0-Liter rund 15 PS mehr. Ob diese Modifikationen, die unbedingt den TÜV-Segen haben sollten, im Hinblick auf den Werterhalt positiv zu bewerten sind, mag jeder für sich selbst entscheiden. Sicher ist jedoch der gesteigerte Fahrspaß an dem Volvo. Wenn daneben noch Maßnahmen zur Optimierung der Haltbarkeit des Vierzylinders in Form eines thermostatisch geregeltem Ölkühlers oder einer Optimierung des Wasserkühlers samt manuell zuschaltbarem Elektrolüfter getroffen wurden, steht solchen Tuningmaßnahmen eigentlich nur wenig entgegen.
Einfach und entsprechend leicht zu reparierende Technik
Gute Teileversorgung
Hohes Klassikerpotential
Katalysator-Nachrüstung möglich
Universelle Nutzung durch Kombi-Konzept
Gute Verfügbarkeit
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Mittlerweile hohes Preisniveau für brauchbare Fahrzeuge
Im Originalzustand wenig sportliche Fahreigenschaften
Hohe Rostanfälligkeit
Mäßige Qualität der Elektrik
Schneewittchens gute Stube
Leder, Holz und Chrom. Diese klassischen Zutaten sind es, die einst den Flair des Innenraums ausmachten. Heute ist davon in den meisten Fällen nur noch wenig übrig geblieben, denn die Jahrzehnte haben sowohl dem Armaturenbrett als auch den Sitzen übel mitgespielt. Insbesondere die kalifornische Sonneneinstrahlung brachte die Kunstleder
Volvos mutiger Shooting-Brake-Vorstoß von einst hat auch heute noch seine Reize. Der Kauf ist jedoch nicht ohne Tücken und führt bei schmaler Brieftasche unweigerlich zu einer Restaurationsruine von ungeahntem Ausmaß. Denn der 1800 ES gehört mittlerweile zu den etablierten Klassikern, was Scheunenfunde oder Internet-Schnäppchen kategorisch ausschließt. Ein solides Auto ist daher nur selten unterhalb von 13.000 Euro zu finden und verfügt in der Regel über eine dokumentierte Restaurationsgeschichte oder einen nachweisbaren Lebenslauf. Unvollständige Exemplare sind aufgrund der hohen Teilepreise ebenso zu meiden, wie kunstvoll gespachtelte US-Importe.