Volvo hat innerhalb der letzten zehn Jahre einen wahren Imagewechsel vollzogen. Der einstige Biedermeier mit Rollkragenpullover und Ellbogen Patches am Sakko steht mittlerweile im taillierten Designeranzug vor uns und avanciert zum Trendsetter. Vom V40 bis zum XC90 grüßen an der Front unverkennbar Thors Lichthämmer, die Formensprache wirkt auch objektiv betrachtet gelungen und zeitlos. Auf den eigenen – beinahe künstlerischen – Anspruch sind sie in Göteborg so stolz, dass es für die Schweden nur nahe liegt, den neuen C40 Recharge (Stromverbrauch kombiniert: 22,3-20,7 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²) auf eine Ebene mit Werken von Rubens oder David Teniers den Jüngeren zu stellen.
Mit den beiden flämischen Malern, deren Ölgemälde beim Pressetermin prominent um das elektrische Crossover-Coupé ergänzt wurden, schlägt man derweil mit einem zwinkernden Auge die Brücke zum belgischen Volvo-Werk in Gent. Hier läuft der C40 seit Anfang Oktober vom Band und teilt sich die Produktionsstätte mit dem Kombi V60 sowie dem eigenen Schwestermodell XC40. Wird letzteres noch mit zahlreichen verschiedenen Antrieben angeboten, gibt es den C40 nur mehr rein elektrisch zu kaufen.
Damit nicht genug, ist der C40 zudem das erste Auto von Volvo, das ausschließlich online bestellt werden kann und dessen hochwertiger Innenraum gänzlich auf tierische Produkte verzichtet. So bestehen die verfübaren Sitzbezüge allesamt aus Microfaser, echtes Leder wird nicht mehr gereicht. Die erste Sitzprobe in Belgien offenbart zugleich, dass das Gestühl ungewohnt straff bezogen ist, was sich auf den mittellangen Testrouten im Rücken zunächst positiv bemerkbar machte.
Ähnlich straff gefedert liegt der gesamte C40 zudem auf der Straße, wobei die Fahrwerksabstimmung durchaus als sportlich-komfortabel bezeichnet werden kann. Die brutto 78 kWh große Batterie ist wie beim XC40 im Fahrzeugboden integriert und lässt auch das Coupé satt auf der Straße liegen. Je ein Elektromotor an der Vorder- und Hinterachse sorgen im Verbund für eine Systemleistung von üppigen 300 kW/408 PS, das maximale Drehmoment beträgt 660 Newtonmeter.
Glaubhafte 4,7 Sekunden gibt Volvo für den Standardsprint an, bei 180 km/h wird der Stromer elektronisch abgesichert. Für die mindestens 57.890 Euro der Allradversion verspricht man laut Hersteller eine WLTP-Reichweite von 444 Kilometer, wobei der Durchschnittsverbrauch mit 22,3-20,7 kWh auf 100 Kilometer angegeben wird. Zumindest die Momentanverbrauchanzeige bestätigte diese Zahlen, allerdings gibt es beim C40 keine Möglichkeit den Stromverbrauch über eine längere Distanz zu messen. Vielmehr wird das Auto hier wie ein Smartphone behandelt und der Batterieladestand dementsprechend nur sehr minimalistisch dargestellt.
Mittlerweile dürfte zudem bekannt sein, dass Volvo sein eigenes, in die Jahre gekommenes Infotainment-System mehr und mehr gegen Android Automotive von Google eintauscht. Eine derzeit noch recht ausbaufähige Idee. Anders als noch während des ersten Test zum Volvo XC40 Recharge im Frühjahr, arbeitete das Google-Betriebssystem zumindest in den zur Verfügung gestellten Testwagen alles andere als fehlerfrei. Bei manch mündlicher Eingabe wurde sich über eine zu schlechte Mobilfunkverbindung (trotz vollem Handynetz) beschwert und auch die Routenführung war eher mittelmäßig.
Google Maps verlor des Öfteren den Faden, hing der eigentlichen Fahrzeugposition hinterher und zeigte Verkehrsstörungen, wo gar keine waren. Die weitere Reduzierung von Menüpunkten führt auch dazu, dass fahrzeugspezifische Einstellungen in der Tiefe des Systems verschwinden. Dagegen rückt die mediale Bespaßung in den Vordergrund – sofern irgendwann die passenden Apps dafür im Play Store verfügbar sind.
Bis dahin hat man Zeit sich mit den weltlichen Dingen in und um den C40 Recharge Twin zu beschäftigen. Zum Beispiel damit, dass das früh abfallende Dach zwar nicht die Kopffreiheit der hinteren Passagiere beschneidet, man aus der Schießscharte namens Heckscheibe aber kaum mehr heraussehen kann. Selbst auf der Autobahn können herannahende Verkehrsteilnehmer erst identifiziert werden, wenn sie sehr dicht aufgefahren sind.
Das birgt ein gewisses Potenzial für Nervenkitzel, den man im Volvo-Coupé sonst eher mit der Lupe sucht. Denn so ausgewogen und leise sich der C40 bewegen lässt, der Fahrspaß in alter Währung bleibt trotz 408 PS weitestgehend auf der Strecke. Damit der Lenker oder die Lenkerin ob der streckenweisen Eintönigkeit dennoch bei der Sache bleibt, gibt es zum Glück zahlreiche Assistenten – unter anderem den Driver Alert, der die Fahrweise analysiert und im Zweifel zur Pause mahnt.
Und Pausenstopps gibt es insbesondere auf der längeren Reise sicherlich mehr als genug. Denn per 150 kW-Schnellladesäule vergehen laut Volvo immerhin 37 Minuten, bis der C40 von 10 auf 80 Prozent geladen ist. Steht nur eine reguläre 11 kW AC-Säule bereit, verlängert sich ein vollständiger Ladevorgang auf bis zu acht Stunden.
Mit 57.890 Euro ist der Volvo C40 Recharge Twin beinahe so teuer wie die Oberklasse-Limousine S90 in der Basis. Messen will er sich dagegen direkt mit einem Audi Q4 Sportback e-tron, der in der stärksten Variante nur wenig billiger ist. Ein überworfener Vergleich zwischen Äpfel und Birnen? Vielleicht. Er soll aber zeigen, wo die Krux beim C40 und anderen Vergleichsmodellen begraben liegt. Sie sind für die breite Masse - trotz Umweltbonus - schlichtweg zu teuer, auch wenn Volvo gerne anführt, dass das Auto 408 PS hat und im Abo ein guter Deal wäre. Wer sich dennoch für den Stromer interessiert, erhält auf jeden Fall einen qualitativ hochwertigen Crossover, der seine Insassen leise, sicher und weitestgehend nachhaltig von A nach B transportiert. (Text: Thomas Vogelhuber | Bilder: Hersteller)