Es ist ja relativ einfach geworden bei Volvo. Wer heute einen neuen Schweden lenkt, der tut das überwiegend als Plug-in Hybrid. Nicht elektrifizierten Benzinern und vor allem dem Diesel hat man in Göteborg schon länger Lebewohl gesagt und so ist das Motorenangebot auch bei der großen S90 Limousine mittlerweile deutlich limitiert. Es wird derlei nur noch ein Mild-Hybrid Benziner mit 173 kW/235 PS gereicht oder der hier gefahrene T8 Recharge AWD mit seinen maximalen 335 kW/455 PS (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 5,8-0,8 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 152-17 g/km)²
Der rau klingende 228 kW/310 PS starke 2,0-Liter-Turbo-Kompressor und die 107 kW/145 PS leistende E-Maschine an der Hinterachse gehen dabei eine durchwegs schwungvolle Beziehung ein, wenngleich gefragt werden muss, was man mit der ganzen Kraft denn anfangen will? Wie alle neuen Volvos ist auch der S90 bei 180 km/h softwareseitig abgeregelt, Ausnahmen gibt es nur noch für Einsatzfahrzeuge.
Weniger Motorleistung hätte womöglich etwas den Spritdurst gezügelt, denn mit den laut WLTP gemessenen 0,8 Litern auf 100 Kilometer begnügt sich der Volvo freilich nicht. Je nach Fahrprofil fließen stolze neun Liter durch die Einspritzdüsen, die elektrische Reichweite, der zum Modelljahr 2023 vergrößerten Batterie, reicht unter Alltagsbedingungen immerhin bis 70 Kilometer.
Der netto 14,9 kWh große Akku ist unmerklich in das Fahrzeugheck integriert, geht nicht zulasten des 500 Liter großen Kofferraums oder der Fahreigenschaften. Störend ist jedoch, dass der Plug-in Hybrid nur mit mageren 3,7 kW laden mag. Mercedes zeigt anhand der aktuellen S-Klasse (aber auch bei A-, B-, C-Klasse usw.) einen deutlich vernünftigeren und zeitgemäßen Gegenentwurf.
Für etwas Kleingeld gibt es dort für die PHEVs eine Gleichstrom-Ladeoption zu bestellen. Genial, wenn man bei der Kaffeepause auf der Autobahn schnell etwas Strom zum Spritsparen nachladen will. Der Volvo S90 hingegen hängt bei leerer Batterie mehr als fünf Stunden am Kabel – da helfen weder nette Worte noch extra Euros weiter.
Dabei haben die Schweden erst kürzlich die sogenannte „One-Pedal-Driving“-Funktion bei ihren Teilzeitstromern eingeführt. Diese macht das mechanische Bremsen dank der Rekuperationsleistung des Elektromotors beinahe überflüssig und sollte ursprünglich den Spaß am rein elektrischen Fahren fördern. Blöd nur, dass dieser Spaß nicht an der Stromsäule aufkommt.
Abseits der Ladethematik fährt sich die S90 Limousine allerdings ziemlich fein, durch das schwere Akkupack auch ziemlich satt. Hinten gibt es optional eine adaptive Luftfederung, vorne sorgt eine einigermaßen rückmeldungsstarke Lenkung für direkte Fahrmanöver.
Die Achtgangautomatik von Aisin arbeitet meist unmerklich im Hintergrund, nur zwischendurch gibt es ein paar ruckartige Schaltmanöver. Die Systemleistung von 455 PS ist (einen vollen Akku vorausgesetzt) im Sport-Modus durchaus spürbar, in den normalen Fahrmodi (oder wenn der Akku leer ist) wirkt der Hybridantrieb hingegen stellenweise verschlafen.
Richtig überrascht hat der rein elektrische Pure-Modus. Spielerisch treiben die hinterradgetriebenen 145 PS den immerhin 2,2 Tonnen schweren Wagen über Stadt-, Land-, und selbst über Autobahnpassagen. Die elektrische Höchstgeschwindigkeit beträgt 140 km/h und in nassen Kurven drängt das gewichtige Batterieheck ohne Vorderachsunterstützung schon einmal merklicher nach außen.
Wenig Kritikpunkte bietet derweil der sehr gut gedämmte Innenraum. Die in China gebaute S90 Limousine glänzt mit einer wertigen Materialauswahl, alles sitzt, passt und hat Luft. Die optionalen Wollsitze sind eine echte Empfehlung und in dieser Wagenklasse eine Art Alleinstellungsmerkmal. Platz gibt es vorne in Hülle und Fülle, in der zweiten Reihe für größer Gewachsene nur mit gegenseitiger Verständigung. Es mangelt zudem früh an Kopffreiheit. Hier trennen den Schweden eben doch noch ein paar Zentimeter von S-Klasse, 7er und A8.
Mit Blick auf das Infotainment-System wurde mittlerweile auch im S90 Google Automotive als Betriebssystem nachgeschoben, das überwiegend funktioniert, wie es soll. Nur einmal verschwand das Suchfeld in der Kartenmaske, was bei Eingaben den Umweg über die immerhin sehr gut funktionierende Spracheingabe erforderte. Eine induktive Lademöglichkeit für Telefone gibt es übrigens immer noch nicht und auch Apple CarPlay funktioniert weiterhin ausnahmslos kabelgebunden.
Bei den Assistenten gibt es gewohnte Volvo-Kost serviert. So fährt, lenkt und bremst der S90 computerunterstützt auf einem soliden Niveau, nur Verkehrszeichen werden äußerst unzureichend erkannt. Einen Umstand teilt sich die Schweden-Limousine übrigens mit dem Polestar 2 der Schwestermarke: Die extrem schlechten Umfeldkameras mit ihrer niedrigen Auflösung.
Der Volvo S90 geht trotz seines Alters immer noch als (teure) Paradelimousine durch. Gutaussehend, komfortabel und bestens verarbeitet bestreitet man in ihr gerne längere Etappen. Sie hätte auch das Format für einen ordentlichen Achtzylinder gehabt – doch die Zeiten haben sich geändert. Heute muss ein Vierzylinder mit behelfsweiser E-Maschine ausreichen. Ein Kompromiss, der kaum einer wäre, würde man im Jahr 2022 nicht immer noch auf 10 Jahre alte Ladetechnik setzen. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)
*Herstellerangaben