Die skalierbare Produkt-Architektur SPA war für die Schweden ein großer Schritt. Nachdem die Vorgänger-Modelle alle aus unterschiedlichen Baukästen und Teilekombinationen bestanden, sortierte man sich zum Sommer 2014 hin komplett neu. Der große XC90 war das erste Modell auf der neuen Basis und ein voller Erfolg. Nicht nur, weil er in Design und Auftritt für ein völlig neue Selbstbewusstsein stand, sondern dies auch noch auf die kleineren Baureihen abfärben ließ. Volvo war plötzlich nicht mehr nur ein Auto für Kenner und Skandinavien-Fans, Volvo war cool. Extrem cool.
Doch in den vergangenen sieben Jahren seit Markstart des großen SUV hat sich viel geändert. Dinge, wie der Verzicht auf Sechs- oder Achtzylinder-Motoren, waren bereits Vorboten einer neuen Zeitrechnung. Auch die Ankündigungen die Weiterentwicklungen der Verbrennermotoren künftig ruhen zu lassen, die Höchstgeschwindigkeiten der Modelle bei 180 km/h abzuregeln und ab 2030 gar keine thermisch angetriebenen Modelle mehr zu verkaufen, zeugen davon, dass nur wenig mehr so bleibt wie es war.
Optisch ist sich der XC90 dagegen nicht nur über den Lauf der Jahre treu geblieben, sondern der Marke generell. Die mächtige Erscheinung der zweiten Generation mit den grimmigen "Thors Hammer"-Scheinwerfern, dem aufrechtstehenden Kühlergrill und anderen markanten Designmerkmalen wurde auch zum Facelift vor zwei Jahren kaum angefasst. Die geänderten Stoßfänger fallen vielleicht am Heck etwas weiter auf, weil die schönen Chrom-Endrohre der Auspuffanlage von einst nun eher aufgesetzt wirkendem Dekor gewichen ist.
Aber Design-Feinschliff schien und scheint auch nicht nötig, denn der Volvo XC90 Recharge T8 AWD R-Design (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 1,5-1,2 l/100km; Stromverbrauch kombiniert: 22,6-20,5 kWh/100km; CO2-Emissionen kombiniert: 34-28 g/km, elektrische Reichweite kombiniert: 64-73 km)² wirkt auch heute noch modern und gefällig – was vielleicht seine größte Stärke ist. Denn entgegen dem Macho-Auftritt einiger anderer Konkurrenten wirkt der Schwede gefällig und zurückhaltend, obwohl er in Sachen Größe kaum weniger raumgreifend ist. Aber er ist eben ein Volvo.
Das Gleiche lässt sich über das Interieur sagen. Opulenz findet man überall: Fantastisch verarbeitete Materialien, sogar Nubukleder am Dach. Auf Wunsch aber natürlich auch vegan mit edlem Wollstoff auf den Sitzen oder tierfreier Ledernachbildung als Bezug. In diesem Meer aus haptischem Genuss – der XC90 riecht übrigens auch sehr hochwertig im Innenraum – brandet zusätzlich inselartig skandinavisch klares Design.
Die zentrale Bedieneinheit etwa wirkt nach heutigen Maßstäben beinahe klein, überzeugt aber dennoch mit hoher Funktionalität. Wobei unser Testwagen des Modelljahrs 2022 noch nicht einmal über die Android Automotive basierte Oberfläche verfügte, die man aus XC40, Polestar 2 und Co kennt.
Zum sprichwörtlichen Platzhirsch macht den großen XC90 die optionale dritte Sitzreihe. Nicht nur, dass sie überraschend groß dimensioniert ist und dadurch auf kurzen Strecken auch für Erwachsene taugt, nein, sie macht den Volvo zum Familien-Liebling. Kinder, Freunde, oder die ganze Verwandtschaft: kein Problem für das große SUV. Zudem lässt sich die zweite Sitzreihe um gut zehn Zentimeter längsverschieben und in der Neigung verstellen, was zusätzliche Flexibilität schafft. Entweder mehr Fußraum in Reihe drei – oder gigantisches Kofferraumvolumen bei nur fünf genutzten Sitzen. Bis zu 1.816 Liter Stauraum machen den XC90 nahezu umzugstauglich.
In der R-Design-Variante mimt der XC90 zumindest optisch aber auch den Sportskamerad. Dynamische Verspoilerungen, mächtige Bereifung mit glanzgedrehten Felgen, geschwärzte Exterieur-Zierleisten und ein ebensolcher Grill. Doch das alles macht aus dem Zweieinhalbtonner noch lange keinen Kurvenschreck. Besonders mit der optionalen Luftfederung ist er das exakte Gegenteil: Er ist der perfekte Gleiter. Dank des Recharge-Hybrid-Antriebs gleitet er sowieso nahezu lautlos dahin, die Doppelverglasung und das "alles-in-Watte"-packende Fahrwerk tun das Übrige.
Auch die vielfach verstellbaren Sitze sind zwar sportlicher konturiert als die Komfortsitz-Pendants, doch auch sie überzeugen mit guter Körperstützung und ermüdungsfreiem Langstreckenhalt. Im Zusammenspiel mit dem Bowers&Wilkins-Premium-Soundsystem und der sehr guten Infotainment-Anbindung in Sachen Handy-Koppelung gibt es wenig, was man am Volvo XC90 kritisieren könnte in Sachen Komfort.
Dem nahezu tadellosen Komfort-Erlebnis steht der T8-Antrieb gegenüber. Nominal hat er mit dem aktuellen Modelljahr deutlich zugelegt. Die E-Maschine an der Hinterachse erstarkte von 87 PS auf relativ üppige 145 PS. Vor allem ihr Drehmoment von 309 Newtonmetern verspricht deutlich agilere Fahrwerte im reinen E-Betrieb. Dank der auf nun buttro 18,8 kWh (effektiv nutzbar ca. 14,9 kWh) erweiterten Kapazität der Traktionsbatterie ist der flüsterleise Aktionsradius ebenfalls deutlich auf bis zu 73 Kilometer gesteigert worden. Dennoch hinterlässt der Volvo XC90 Recharge T8 AWD R-Design den Fahrer oft zweifelnd.
Mit vollem E-Kraftspeicher und im Sportmodus wirkt er wie entfesselt. Er fühlt sich kraftvoll an, spurtstark, aber eben auch: hektisch. Das Getriebe hält bewusst die tiefen Gänge, das führt nicht nur zu einem hohen Geräuschniveau, sondern auch zu ebensolchem Verbrauch. Noch dazu klingt der 2.0-Liter-Vierzylinder, der von einem Kompressor und einem Turbolader unter Druck gesetzt wird, eher angestrengt, denn lustvoll. Im Pure- oder Hybrid-Modus ist das Urteil entgegengesetzt. Hier könnte der XC90 ein bisschen mehr Mumm vertragen, alles wirkt sehr zurückhaltend abgestimmt und es braucht viel Gaspedal-Input für ein bisschen Kraft-Output. Hier fühlt sich der große SUV nicht nach 455 PS an – weil er sie natürlich auch nur unter der Zuhilfenahme beider Aggregate hat.
Es liegt wahrscheinlich an der Zahl im Datenblatt: 455 PS. Ein Wert, der vor Kurzem noch echten Supersportwagen vorbehalten war. Heute presst man es aus einem Vierzylinder und einem E-Motor ganz locker raus. Und in den Alltagssituationen, in denen man ein solches Fahrzeug heute das Gros der Zeit bewegt, reicht seine Leistung völlig. Nie wird jemand einem Recharge T8 Leistungsmangel unterstellen. Er hat immer genug Fleisch am Knochen, als dass man sich bei der Shoppingtour oder dem Kinderholen Gedanken über Leistung oder Drehmoment machen würde.
Aber in diesen ganz seltenen Momenten, wenn man die Leistung ausloten will, den Wagen aus der Reserve holen, ihn zum Tanz bitten will, dann wirkt der große Schwede etwas lethargisch. Es dauert zu lange bis er seine Schaltkreise befragt hat, die Momente gestellt hat und die Lader angeblasen hat. Nach den Gedenksekunden geht er tüchtig voran, an den Leistungs- und Fahrdynamikdaten haben wir keine Zweifel. Aber er fühlt sich einfach nicht nach einem 455 PS-Auto an.
Und hier spannen wir nun den Bogen zum Nachfolger. Der neue XC90 wird rein elektrisch kommen. Er muss sich diesen Fragen gar nicht mehr stellen. Er wird die Alltagssituationen locker meistern und dank üppiger E-Power auch besinnungslos beschleunigen.
Der Volvo XC90 Recharge T8 AWD R-Design ist ein fantastisches Auto. Gerade zum Ende der Bauzeit hat er einen qualitativen Reifegrad erreicht, der seinesgleichen sucht. Auch sein Design und seine Komfort-Merkmale lassen ihn noch locker in der Spitzengruppe des Segments mitmischen. Doch gerade das 455 PS starke Topmodell lässt beim Fahren die Frage aufkommen, wieviel Sinn das alles noch macht. Volvo hat die Antwort bereits gegeben: Der Neue kommt nur noch elektrisch. (Text: Fabian Mechtel | Bilder: Hersteller)